Gedanken

Langeweile

– Und wo fang ich an?
Irgendwo. In einer Ecke.

Janosch. Fang ich bei Janosch an. Janosch gefällt mir gut, mit dem fühl ich mich wohl. Aber Janosch hat Aids. C1. Gestern hatte Janosch auch noch Syphilis. Deswegen gab es 110 Millionen Einheiten Penicillin in 48 Stunden. Dann dürfe er wieder gehen.
110 Millionen Einheiten in 48 Stunden. Wie soll das gehen. Alles in Janosch rein. Mein Vorstellungsvermögen scheitert, Janosch raucht eine Zigarette in der Sonne.
Und noch eine. Wir lächeln. Und schweigen.
Später wird er nach Hause gehen.

Gabi geht heute auch. Gabi ist meine Zimmergenossin. Bett Fenster rechts. Ich bin Bett Fenster links. Uschi, Bett Mitte rechts, und ich müssen noch auf unbestimmte Zeit bleiben. Uschi ist die dritte im Zimmer. Na toll, Uschi mag ich am wenigsten. Und Uschi mag keine Kanaken. Gabi ist eine Hypochonder. Sie halluziniert von mysteriösen innerlichen Schwellungen am ganzen Körper. Gabis Mann heißt Thomas und ist Geologe.
Und Janosch. Janosch hat Aids und Janosch ist wichtig, sagt er. Janosch heißt eigentlich Jan. Er hat einen Freund, der ist Augenarzt in der Charité. Sie sind ein schwules Paar in Berlin. Seit 7 Jahren ist Janosch positiv. Damals war er 16.
Er hat wunderschöne Turnschuhe.

Ein paar Tage später, allein mit Uschi fiel mir die Decke dann doch auf den Kopf. Heimlich schlich ich in die nächstbeste Telefonzelle, den Zettel mit Janoschs Telefonnummer in der linken Hand. Eigentlich kannte ich die Nummer bereits auswendig, aber egal. Es war seine Dienstnummer und ich landete dementsprechend bei seiner Sekretärin. Ich weiß ihren Namen heute nicht mehr, ich weiß nur noch, ich meldete mich mit Frau Langeweile. Sie fragte nur einmal nach und verband mich, als ich bestätigend wiederholte, ich hieße Frau Langeweile, mit Janosch. Auch seinen Nachnamen weiß ich nicht mehr. Aber wir lachten zusammen am Telefon, das hab ich heute noch im Ohr.

Gedanken

Zwischenzeiten

Irgendwie sind Dir heute die Nuancen abhanden gekommen. Die Nuancen, die zwischen hell- und dunkelblau liegen. Und die zwischen eiskalt und lauwarm. Sogar die zwischen lecker und essbar. Nach dem zehnten entgegenkommenden Kinderwagen waren alle Kinder nur noch herzig und die zehnte Kneipe an der Du vorbei kamst, ja, auch die hatte Leckeres im Angebot. Draußen war es kalt und der Himmel grau, da waren wir uns alle sowieso einig.
Und dann bist Du auf den Friedhof geflüchtet, wo es wenigstens ein paar Blätter zum hoch wirbeln gibt und es als normal gilt, Blicken auszuweichen. Hier darfst Du Dir Tränen ins Knopfloch stecken, und mitten im Schritt innehalten. Jedes Stolpern wirkt hier erhaben und Einsamkeit ist hier fast Pflicht. Zeit wird anders bewertet und Schatten sind willkommen. Du suchst Dir Deinen Weg an der Mauer entlang bis zur Bank, die Dich ankommen lässt, Deinem Steißbein Ruhe gewährt und nur leise und diskret ächzt, wenn Du Deine Kilos fallen lässt. Nuancen gibt’s dafür zwar nicht im Tausch aber die Zeit gewinnt wieder an Tempo, Stunde um Stunde bezwingend.