Hotel Ideal

3. Kapitel: John-Boy

John ist unser Hahn im Korb an diesem Abend und an vielen Tischen, um die wir uns zwecks Nahrungsaufnahme versammeln werden. Er hat ein Lächeln, das sich über sein gesamtes Gesicht erstreckt und begegnet mir damit als einer der wenigen Menschen, die ich bitten möchte, weniger zu lächeln.

Was an Elsa strahlt, wirkt an John alt. Als wir ankamen leuchtete er noch, ein Stern, der mir an den ersten Abenden den Himmel erleuchtete. So genießen wir es sehr an diesem Abend schließlich nebeneinander auf einem Felsen zu sitzen. Schulter an Schulter, verbunden in einer leisen Skepsis dem Leben gegenüber.

Wenn der Verstand gehen lernt, tanzen, gerät das Standbein unwillkürlich aus dem Takt.

Es gibt Orte, wie dieses  Hotel in Kerala, Südinien, die ziehen Menschen an, die sich auf die Suche gemacht haben. Gleichzeitig kann man sich hier hervorragend vor der Wirklichkeit verstecken, das tut nicht immer gut.

Nach einem Sturz hat sich John auf die Opferrolle spezialisiert. Er geht nur mehr zaghaft, er spricht nur noch leise und er fragt neuerdings gern ins Leere. Das Pflaster auf dem blanken Schädel tut sein Übriges. Hatte er vorher bereits sehr sorgfältig zwischen Dingen, die er essen würde und Dingen, bei denen er sich das aus unterschiedlichen Gründen nicht vorstellen konnte, unterschieden, so jagt jetzt ein Sonderwunsch den nächsten. Nur genossen wird nicht.

Ich halte zunehmend Abstand. Dabei hatten mir die Geschichten eines Amerikaners am anderen Ende der Welt anfangs Lust auf mehr gemacht. Seine Erzählungen reichten von französischen Käsebauern über buddhistische Kloster bis zu Einladungen in alternative Lebensgemeinschaften am Rande der Zivilisation. Dass er stets alleine übrig blieb und sein Engagement im Gegensatz zur Freude über ihm Angebotenes oder von ihm Angenommenes nie zur Sprache kommt, lässt meine Faszination schließlich zum Erliegen kommen.

Hotel Ideal

2. Kapitel – Die Sphinx aus B.A.

Elsa geht vor mir auf dem Pfad eng am Resort entlang, als wir uns zwei Tage später zu dritt aufmachen, einen dieser legendenumwobenen asiatischen Sonnenuntergänge zu erhaschen. Der Pfad ist rutschig, ich habe mir vorsichtshalber meine Turnschuhe angezogen, pink und klobig ragen sie unter meinem dünnen Röckchen hervor. Ob meiner brüchigen Gelenke bin ich dankbar um sie bei jedem Schritt.

Neugierig streifen unsere Blicke durch die salzig-glitschigen Mauerritzen links, wo das Resort Luxus versprüht, der so nicht ahnbar war, nimmt man die Straße als Messlatte, die wir zum Strand hinabgestiegen waren. Luxus, der sich in den leeren Hängematten mit Blick auf den gischtumschäumten Horizont und vermutlich auch auf den für in einer Stunde erwarteten Sonnenuntergang räkelt. Der Himmel hat vorgesorgt: die nötigen Wölkchen für die dramatische Farbbildung, die Palmen für die charakteristische Silhouette, sogar Fischerboote, die der Abenddämmerung das ein oder andere Fischlein abzutrotzen versuchen. Zu unseren Füßen aber tummelt sich der Abfall, den das Land nicht mehr zu schlucken bereit war, teils unzureichend vorverdaut, teils mit Gerüchen behaftet, die man seiner Toilette nicht zumuten möchte. Ich versuche, vorerst nicht zu atmen.

Wenige Meter weiter klettern wir ein paar Felsbrocken herab und finden uns auf dem ersten Strand ohne Namen. Eine Bucht, den Dschungel am Rocksaum, die die heimischen Jungs zu ihrem allfeierabendlichen Fußballfeld erkoren. Wir stapfen weiter, mein Blick jetzt fest auf Elsas Rücken geheftet. Sie ist ebenso hochgewachsen wie ich, trägt im Gegensatz zu mir aber flatternde Oberteile, die die Hitze und die zum Teil arg gierigen Sonnenblicke auf die Haut erträglich machen. Elsas Schönheit kommt bei Bewegung und Blickkontakt zum Zug: aufrecht, lean, würde ich im Englischen sagen, für das es im Deutschen noch kein Wort gibt. Englisch ist hier der Sprachgrund, auf dem wir uns mehr oder minder stolpernd begegnen, auch wenn wir uns alle auf anderen Böden heimischer fühlen.

Elsa hat neben ihrer ehrwürdigen Gestalt einen Geist in petto, der weiß was ihm schmeckt: Unvergorenes, fair Gehandeltes, Gehaltvolles. Dazu Augen, in denen diverse Bergseen versenkt. Als ich sie auf ihre Erscheinung anspreche, erzählt sie mir von einer Vergangenheit, demi-plié, an der Stange, einem argentinischen Ex-Ehemann, dem Leben als Freelancer und der Lust auf ein Leben zurück in den norwegischen Wildnissen, wenn da nicht der ebenfalls argentinische Real-Estate-Agent wäre, der ihr Herz in seinen manikürten Händen hält. Sie ist Journalistin für Themen jenseits der Comfort-Zone: Bildungssysteme, Umweltsünden, soziale Gerechtigkeit – Themen für die sie auch hier in Asien recherchiert. Für sie ist der Aufenthalt in unserer keralischen Oase das Auge im Sturm, willkommene Atempause vor dem nächsten Auftrag, der sie ins indische Bildungssystem eintauchen lässt, bis es weh tut. Sie hat viele Fragen und einen gesunden Appetit.