Geliebte

In Liebe, Dein Gedicht | Poetisches Protokoll

peer tricked, marcel beyer, frieder von ammon, friederike mayröcker

Was brauchen wir, fragst du, Frieder, und weist uns
den Sender fm Mayröcker auszusuchen:

Gedichte, Gedichte von dir Friederike!

 

Was wäre (wohl möglich), wenn wir Gedichte, Lyrik, anerkennen

# als Mittel zu Verortung und Orientierung in der Welt, Zeilen wie Strahlen aussendend und einholend, Echo und  Resonanz
# als Über-Lebensmittel und Zufluchts-Ort, Fluchtpunkt der nötige ergänzende Perspektiven anbietet
# als Fliegenpapier der Realität, gleichwertig alternative Realität vielmehr denn als, wie oft behauptet, reine Abbildung derselben ( Grüße gehen raus an die Fotografie)
# als immer und immer wieder Antworten auf die unausgesprochene Frage: was brauche ich, was brauchen wir?
# als Premiumatem
# als Ode an die Prägnanz, stets auf der Suche nach unkompromittierbarer Eindeutigkeit, die Mehrdeutigkeit nicht ausschließend sondern einladend, auf den Punkt, der trifft
# als immerwährend dem Ertrinken trotzendes Venedig
# als Akt der Architektur, aus Silben Obdach bildend, Räume in alle Dimensionen schachtelt, inklusive der Frage nach der Statistik, während die Prosa eher in die Fläche wirkt, Land schafft
# als Widerstand gegen die Erwartbarkeit und das Balkendiagramm
# als das Gegenteil von Unschuld, auf den ersten Blick unschuldig mit der unwiderstehlichen Haptik von Wildleder
# einzelnne Zeilen Romane abtrotzend
# mehr als das
# Brausetablette des alltags, Liebling der Musen
# Einladung ans Weiterdenken
# als Meltingpot der Gezeiten, Liebeserklärung an den Horizont
# als Heimat
# ohne Angst vor großen Emotionen, im Gegenteil sichtbar stolz Emotionen evozierend
# Tempo-30-Zone der Literatur
# fühlt sich fast wohler unter der Erde, und vielleicht deshalb auch Brüderschaft trinkend mit dem Tod
# das Du unter den Exzellenzen
# nur auf den ersten Blick von Schrift abhängig, auf den dritten spätestens bereits im Laut ihre Wirksamkeit entfaltend, literally
# Ultraschall, nämlich
# sich auftextend, eintextend, ertextend
# Funghi, unterirdisch zu einem unendlichen Textstrom verbunden, auf Papier dem schreibend suchenden erscheinend nichts als Musterbeispiele, einzeln ein Gedicht
# Im Satz ohne Punkt gültig

 


Vielen Dank an das Haus der Poesie, an Frieder von Ammon (LMU), Marcel Beyer, Uljana Wolf, Ann Cotten und Peer Trilcke!

Geliebte

Camels Ultra

Miniaturmalerei Kamel, Indien © KHM-Museumsverband / Weltmuseum Wien

Es war einmal ein alter Scheich, der hatte 17 Kamele und drei Söhne. Als er merkte, dass er bald sterben würde, rief er seien drei Söhne zu sich und teilte ihnen seine Kamele zu. Seinem ältesten vermachte er die Hälfte seiner Herde, seinem zweitältesten ein Drittel und der jüngste Sohn sollte 2 Kamele bekommen.

Als er gestorben war und die Söhne die Kamele unter sich aufteilen wollten, gerieten sie in Streit: die 17 Kamelen ließ sich nicht halbieren, nicht dritteln. In Ihrer Not baten sie eine alte weise Frau um Hilfe. Die alte Frau war ehrlich: Ich weiss nicht, ob ich euch damit helfe, aber ich kann euch mein Kamel schenken.

Die drei Männer staunten über die Lösung, bedankten sich und der älteste nahm sich neun Kamele, die Hälfte der jetzt 18-köpfigen Herde, der zweitälteste erhielt drei und der jüngste nahm sich zwei der Kamele. Eines aber blieb übrig und so konnten die drei der alten Frau ihr Kamel wieder zurückgeben.

 

Als Kind liebte ich Märchen – und Kamele. Beides hatte mit Sehnsüchten zu tun, Warum lieben Kinder Kamele, was verbinden sie mit diesen Tieren, die zugleich uralt und weise, und ein bißchen tappsig und nicht für diese unsere Welt gemacht scheinen? Diese überdimensionierten Wüstenschiffe, die in der unwirtlichsten unserer Landschaften zu überleben wissen, tagelang ohne Wasser und Nahrung. Die kistenweise Gepäck zu tragen vermögen und einen Orientierungssinn zu haben scheinen, der ohne jede Landmarke und bei größter Hitze funktioniert. Kamele, die, so lernte ich spät, gar nicht aus der afrikanischen Wüste, sondern ursprünglich aus Nordamerika stammen. Kamele, die in so vielen Arten existieren, klein und groß, mit einem und mit zwei Höckern, mit lockigem und kurzem Fell, mit langen und mit kurzen Beinen.

Josh Gluckstein, Lima the Llama, 2021, gefundene Materialien und recycelte Stoffe © KHM-Museumsverband / Weltmuseum Wien

Kamele stehen in unseren Kulturkreisen ja häufig für Ferne und Fremde, für Wüste und Transport vielleicht. Die überdimensioniert anmutenden Wüstenschiffe scheinen aus der Zeit gefallen, dabei können wir von ihnen nicht zuletzt Resilienz in unwirtlichen Gegenden und Umständen lernen. Sie stehen für sich, nicht zuletzt als Währung, für Erbe und Reichtum, sie funktionieren aber auch in Herden, als Karawanen auf dem Weg zur nächsten Oase. Ihre Milch strotzt vor Vitaminen und Nährstoffen, ist reich an Eiweiß und guten Fetten. Gab es eine Zeit ohne Kamele? Man kann es sich kaum vorstellen, so unabhängig von Zeit und Raum wirken sie, und währen der Kamelhaarmantel in der Mode vielleicht noch auf sein Revival wartet, ist die Zeit der Kamele vielleicht nie größer gewesen. Die Zeit für meinen Kamelritt jedenfalls reif.

PS: Wer sich fragt, warum die Camels Zigaretten das Kamel im Logo führen: Der Gründer R. J. Reynolds wollte eine Verbindung zum Orient schaffen, da der Hauptbestandteil der Zigarette aus Orienttabak besteht. Auf dem Logo ist “Old Joe”, ein Zirkusdromedar au zu sehen, also ein einhöckriges Kamel, dessen Zirkus damals gerade im Wohnort von Reynolds gastierte.

PPS: Und wer nachrechnen möchte, wie viel sein Freund oder seine Freundin in Kamelen wert ist, et voilà der Kamelrechner!

PPS: Die hier abgebildeten und weitere Ausstellungsstücke rund ums Kamel finden sich aktuell im Weltmuseum in Wien.