San Gimignano Lichtenberg (2021)

San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert

Florenz? Toskana? Von wegen: Berlin-Lichtenberg! Allerdings ist San Gimignano Lichtenberg aus Beton. Zwei Türme ragen hoch hinaus zwischen dem legendären vietnamesischen Großmarkt Don Xuan Center und DDR-Plattenbauten, eine Adresse existiert zwar, hilft aber bei der Ortung nur ungefähr. Die beiden alle umliegennden Gebäude spielerisch überragenden Betontürme, die früher als Silo und Umlaufturm genutzt wurden, sind die Überreste des VEB Elektrokohle Lichtenberg, eines volkseigenen Betriebs zur Produktion von Graphit. Nach der Wende lag das Gelände fast 10 Jahre brach, schließlich wurde es privatisiert, die eigentliche Produktionsstätte abgerissen; nur die beiden Betontürme blieben – der hohen Abrisskosten wegen – stehen.

San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert

Betonfassaden. Gewerbegebiet. Eine eigene Ästhetik findet hier einen Platz, der schwer über Worte vermittelbar. Die Berlin Questions lud schönerweise als Konferenz “for the immediate present” 2021 ihre Gäste zu einem Abend in die verwaiste Lichtung. Die Entzifferung der Wände im Abendlicht entpuppte sich als eine der Disziplinen, zu der sich meine Kamera hingezogen fühlte, bei der wir Spuren menschlichen Lebens folgten und gar verwilderte Kräutergärten auftaten, die bei Berührung einen olfaktorischen Gruß aus der Toskana bereit hielten: Thymian und Rosmarin ließen sich ausmachen, pflücken und später zu San Gimignano Gewürzsalz aufbereiten, das so manches Gericht zu einer Erinnerung werden ließ.

San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert

Das Innere blieb pandemiebedingt uns für’s Erste verschlossen. Wir kamen, wie wir gingen – viele Wege führten an diesem Abend in dieses Nirgendwo, an dem passenderweise der öffentliche Nahverkehr zum Erliegen gekommen war. Parkplätze gab es reichlich, ebenso wie Perspektiven, Ecken und Kanten. Die Fläche hatte Oberwasser, was nicht heissen soll, dass Tiefe Mangelware. Wir verließen den Nicht-Ort hernach in unterschiedliche Richtungen mit Fahrzeugen und zu Fuß, ergriffen von einem Gefühl gewesen zu sein an einem Ort, den es so eigentlich nicht gibt, nicht geben sollte und vielleicht bei unserem nächsten Besuch auch nicht mehr geben wird.

Die Gebäude blieben für uns unbesuchbar  an diesem Abend- ob CoVid – und sind bis auf Weiteres unbenutzbar ob Nutzungsauflagen, wie uns die besitzenden Architekten erzählten. So tagten wir unter freiem Himmel, wussten Fassaden zu genießen und heben uns die inneren Werte für ein andermal auf. Denn eines ist ziemlich sich: Nächstesmal schwimme ich noch ein Stück weiter raus und dann eben auch rein und dann wird auch geankert.

San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert San Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert San Gimignano Lichtenberg | © Anne SeubertSan Gimignano Lichtenberg | © Anne Seubert

Dank & Grüße gehen raus an die Teams von Brandlhuber &  Berlin Questions – Danke!