Geliebte

Wie im Märchen

Frauen, so sagt man, suchen zeitlebens nach ihrem Ritter auf dem weißen Pferd. Man sagt nicht Gentleman, oder Medienanwalt, man bleibt bei der längst überholten und damit offensiv irrealisierenden Personenbenennung Ritter. Mag da auch der oder die eine oder andere sich wenigstens verleitet fühlen, an Rittersport zu denken und so in den Genuß von gesteigertem Speichelfluss kommen, die meisten werden doch Lanzelot, Parzival oder Ritter Kunibert imaginieren. Das Pferd dazu ein schmucker Rappe, feurig auf der Stelle tänzelnd und gefährlich schnaubend, nur durch des Ritters souveräne Zügelführung gezähmt. Keine adipöse Stute jedenfalls, mit altersrotem Zahnfleisch und Fusseln am Schweif.

Solche Ritter, die, nur Insider wissen das, natürlich nicht nur Ritter, sondern sogar Prinzen samt Wald und Wiesen umspannendes Reich, Schatztruhen und Schloss, sind und waren seit jeher sehr selten. Im heutigen Großstadtdschungel sind sie geradezu unauffindbar, aber wer will sich schon mit einem lieblos im Straßengraben entsorgten Pferdeapfel zufrieden geben? Dann lieber kompletter Verzicht auf blaublütiges Vierbeiner sattelndes. So war auch sie schließlich dazu übergegangen, die Suche einzustellen und lenkte ihren Blick stattdessen auf Kleinodien anderer Natur, darunter Schäfchenwolken, Badesalze, Schnäppchenangebote und auch mitunter fand sie gar zurücklächelnde Stilleben in der Rush Hour.

Nun, man weiß ja wie das ist, kaum gibt man auf, lässt alle Hoffnung fahren, schon stellt sich ein, was man jahrelang intensivst herbei gesehnt hatte. Der geübte Groschenromanleser weiß spätesten jetzt, dass der Prinz just in diesem Moment in ihr Leben trat, als sie, enttäuscht von jahrelangem vergeben gebliebenem Hoffen, den Blick gar nicht mehr heben wollte. In genau dem Moment, da sie nichts mehr erwartet und an Kleinstem, das ihr gegeben, sich erfreute. Der erfahrene Leser weiß aber auch, dass man Abstriche machen muss bei der Traumerfüllung, und so kam Ritter Starkstromtechnik nicht auf seinem weißen Pferd, sondern lässig den Blinker setzend in einem dunkelblauen Golf Variant.

Und wenn sie nicht gestorben sind, …

Geliebte

Herbstknospen

Herbstblüte | Anne Seubert

Und es kam der Tag, da das Risiko, in der Knospe zu verharren, schmerzlicher wurde
als das Risiko zu blühen.

(Anaïs Nin)

Blaublühende Wurzel bist Du. Setzling. In Erde gebannter Keim, feuchtwarm gehalten. Torfummantelter Bodenblütler aus Überzeugung. Frühkartoffel, in der Schale zu verzehren. Lichtscheues Nischengewächs, halbschattengewährend.

Den Fruchtknoten trägst Du nach innen, erst die Frucht, gen Januar reifend, wölbt Dich. Pünktlich zu Weihnachten wechselt Deine Silhouette alljährlich von konkav zu konvex. Scheinschwanger sagen sie.

Du wirfst die Tränen an Drei König und bereitest Dich von da an auf den Sommerschlaf vor: Zwei Erdschichten tiefer, da wo die Erde zu Reich und die Luft zu Methan wird. Kühle um Dich scharend, wühlst Du Dich ins Kindbettfieber, treibst Luftwurzeln aus und entastest Dein spärliches Laub. Nur blattlos wird aus Kobalt Preußisch Blau. Du destillierst es in den Binnenhäuten Deiner Knollen. In der Morgendämmerung blasser Februartage.

Mitunter wird es Mai ehe Du das Faulen Deiner frühreifen Blattknospen bemerkst, bevor Du weißt, dass Du Deine Blüte wiedereinmal erfolgreich verschlafen hast. Zeit, Falten zu schlagen.