Gerede

Teatime

Wenn 11 Uhr morgens sich wie nachmittags 17 Uhr anfühlt, weiß ich, es ist Herbst. Dann ist da das Feuchte, das mir durch die Ärmel zieht und mir die Haare lockt, da im Nacken, wo sie etwas dünner, und seitlich vorne, da wo andere Leute Geheimratsecken haben. Oder bald haben werden. Da rückt dann selbst der Horizont ein Stück näher, in der Hoffnung, einen Schluck Heißgetränk abzubekommen. – Ich mein, es gibt ja viele Geschmäcker und fast ebenso viele Heißgetränke. Also was bringt einen eigentlich dazu, freiwillig pures warmes Wasser zu trinken? – Ich bin da gar nicht so, meine Horizonte dürfen alle mal nippen an meinem Beuteltee, ja, sie dürfen auch aus meiner Tasse trinken. Hätte ich nicht einige Zeit in einem Büro gearbeitet, wüsste ich nicht, dass dies etwas Anmerkenswertes darstellt. Die bürointerne Teeküche damals jedoch lehrte mich stets meine eigene Tasse zu benutzen, ausschließlich Teebeutel aus meinem Teebeutelvorrat mit heißem Wasser zu tränken und unter keinen Umständen Fremdgeschirr mitabzuwaschen. Der Strafkatalog war einfach verständlich und duldete keine Ausnahmen:
Benutzung einer fremden Tasse – Denunziation vor allen Kollegen mit abschließendem jovialen „Du kannst diese Tasse noch leer trinken, aber danach brauche ich sie umgehend zurück!“ des Eigentümers.
Benutzung eines Fremdteebeutels – Gelbe Post-its am Teeregal „Es fehlt ein Pfefferminz-Teebeutel in meiner Packung. Wer ihn sich genommen hat, soll ihn doch bitte ersetzen!“
Abwaschen von Fremdgeschirr – Hinweis beim Aufeinandertreffen in der Küche, das müsse ja nun nicht sein und man solle das doch in Zukunft bitte unterlassen.
Als der Wasserkocher dann irgendwann aufgab, verwaiste die Küche zunehmends und die zehn sorgsam beschrifteten Milchpackungen im Kühlschrank wurden eine nach der anderen sauer. Obacht, Falle, jetzt bloß nicht den Kapitalfehler begehen, anderer Leute verwesende Lebensmittel wegzuschmeißen!

Ich teile meinen Tee weiterhin, ob offen, gebeutelt, oder gar schon aufgebrüht gern, auch wenn der ein oder andere Horizont zum Schlürfen neigt und ich das eher eklig finde.

Gerede

Bastard

Beklebte Wände, verqualmte Luft und der DJ ist der Älteste im Raum. Riesenkronleuchter an der Decke, die schummriges Licht zwischen die Rauchfaden werfen. Barfeeling. Die Musik einen Tick zu laut, als dass man die umgebenden Gespräche mühelos verstehen könnte, man muss sich schon konzentrieren. Die Mitmenschen teils routiniert am Tresen lehnend, teils unsicher erwartungsvoll zur Bühne schauend. Für eine kulturelle Veranstaltung erstaunlich viele Männer im Publikum, ja sie sind definitiv in der Überzahl. Durch die Bank alternativ, alle Altersklassen bedienend.

Du aber willst nicht mehr verführerisch lächeln. Stattdessen lieber Dialektfetzen vor Dich hin brummeln, die keiner versteht, obwohl sie doch alles beinhalten: Kraftvoll verkürzte Wortmutationen, die klingen als spucktest Du unzerkaute Knäckebrotbröckchen.
Du willst nicht mehr lachen, auch nicht ansteckend oder verlegen: Du willst Deine Stirn grimmig in Falten legen, Querfalten im Millimeterabstand und die Mundwinkel ruhig auch mal der Schwerkraft folgen lassen.
Vollkommen verkopft durch die Gegen irren willst Du und nicht anmutend tänzelnd, die Arme ladylike angewinkelt, eine unpraktische Handtasche schlenkernd, Blickkontakte suchen.

Die Tresenkraft ist schwerhörig, aber das Bier kalt und billig und mit etwas Glück beginnt das Programm in Kürze.