Gesuche

Händeringende Ortsbegehung

„Tatort – live erleben. Wie geht es in ihrem Leben weiter?“ lese ich und fühle mich sofort angesprochen. Mein Leben als Tatort und ich mittendrin. Ein wenig Action, ein wenig mehr gar an Spannung, einen Hauch Tragik und mindestens zwei Helden, als Team vereint. Und stehe da in meinem Kleid, noch verlorener als in Hosen schon und bereits ehe der Vorspann samt Titelmedley ausliefe – zwischen den Augen hindurch ins Hirn – wieder längst in verblassten Marginalien versunken, weit über das Knie, nicht ganz bis zur Hüfte.

Kartoffellastig die Küche der letzten Woche, Make-up-träge die Haut über meinen asymmetrischen Wangenknochen spätestens gen Wochenende. An den Hüften die erst letzte Nacht liebgewonnen Spuren des mehrtägigen Besuchs bei Amanda – zwei Frühstücksbrunchs ohne abschließendes Vaterunser und viereinhalbmal schlesische Hausmannskost. Dein Fingerballen zitterte bei der Erstbegegnung mit eben jenen Bögen nur leicht, später dann bei der weitflächigeren Begehung der Oberflächen aber schon aller Hand: Tremolo.

Kaspisches Rokoko lispelst Du da gerade und beatmest meine Hüfthäute Silbe für Silbe mit hochprozentiger Luft-Wasser-Dispersion. Ich pfeife entgegen jeder Gewohnheit und wie unter Zwang erstmalig bewusst aufs Ökosiegel und konzentriere mich an seiner Statt auf das sukzessive Erröten meiner Schulterblätter. Die mir eigene Links-Rechts-Schwäche, Erbe bis dato unbekannt gebliebener Ahnen, zelebriert ihre Sturheit in einem Maße, das mich auf beidseitig synchron verlaufende Farbintensivierung bestehen lässt, meinen Brustkorb, entsprechend unlängst in meinem exklusiven Beisein verkündeter assistenzärztlicher Anweisungen, offen getragen.

Gesuche

u-bahn-begegnung, amélie-esk

Diese Woche hieß es Abschied nehmen von der Rasselbande. Unterschiedlich lange hatten sie unter meinem Bette geruht, immer wieder hatte ich sie liebkost und vor allem lieb-kostet. Aber es waren ihrer schlicht zu viele, ihre Süße überforderte selbst mich und meine Abreise rückte siebenmeilenbestiefelt näher und näher. Der Allerliebsten erbarmte ich mich dank Tupper, der große Rest aber musste unters Volk gebracht werden. Schnell, sauber und in gute Hände. Die waren schnell gefunden, das Bündel geschnürt, die Pedalen des Schwarzen harrten bereits vorsorglich geölt, und dann kamen doch die Zweifel.

Gab es nicht vielleicht noch jemanden, der ihnen nicht nur ein guter Host, sondern der ihrer nachgerade bedürftig entgegenschmachtete, in diesem Moment, in dem davor, vielleicht bereits ein ganzes Jahr? Auf der Suche also nach einem Obdachlosen, der meine Weihnachtsplätzchen noch ein wenig lieber auf der Zungen zergehen ließe als der eigentlich zu bedenken gedachte, machte ich mich bei um die null Grad auf die Suche nach einem solchen. Schwierig im gerade durchradelten Kiez, stellte ich fest, schwieriger als gedacht, denn an allen verdächtigen Stellen fand sich Frost, aber keine Menschenseele. Die letzte Chance rechnete ich mir in der Ubahnstation aus, die noch auf dem Weg lag, gelblich beleuchtet lockend.

Also Fahrrad angeschlossen, Keksdose unter den Arm gepresst und die Treppen hinunter gestiegen in die wie erwartet reichlichst entgegenströmende Wärme. Um jede Ecke geschielt, auf jeden Ton gehorcht, jeden schlurfenden Schritt, aber auch hier: Niemand, der nicht vorhatte, spätestens in die nächste Bahn zu steigen, auf dem Weg in eine Wohnung voller Lieben. Niemand, außer einem, der mir zuerst auffiel durch seine linkischen und so gar nicht zielbewußten Bewegungen, die nicht in diese neonbelichtete unterirdischen Räumlichkeiten passten. Durch sein wiederholtes hastiges Umschauen, und den dicken Stapel bedruckten Papiers, das er nach und nach an den gekachelten Säulen befestigte. Anfallartig immer dann, wenn eine Ubahn das Gleis mit Umherstehenden verlassen hatte, und die Gegend frei von etwaigen Zuschauern schien. Die Neugier war geweckt, die Kamera gezückt und das Lächeln mehr als bereit.