Gegenwart

Moskau in Wind und Watte

Moskau

3 Tage Moskau hieß 3 Tage Regen. 3 Tage Warten. 3 Tage in fremden Lettern. 3 Tage Freundschaftsdienst. 3 Tage Frühaufstehen. 3 Tage Walderdbeeren. 3 Tage Staunen auch. Im Detail:

#1: Wind of Waiting
Moskau serviert Vanilleeis an Endloswarteschleife: Sicherheit wird hier groß geschrieben, so groß, dass alles andere zwischen die Zeilen fällt. Ohne Ausweis komme ich kaum zum Friseur, nicht in den Zug und im Zweit-Hotel will man mich erst aufnehmen, als ich beweisen kann, dass ich auch die Nächte davor in guten, will heißen offiziell bestätigten Händen verbracht habe. Um auf den Fernsehturm steigen zu dürfen, benötigen wir ungelogen 2 Stunden Wartezeit, drei Sicherheitskontrollen und erst als wir den Eisverkäufer um all sein Vanilleeis gebracht und unsere Textsicherheit in Sachen Wind of Change erfolglos auf die Probe gestellt hatten, dürfen wir – einzeln versteht sich – vortreten.
Warten ist meine Sache nicht, entsprechend bröckelt mein Enthusiasmus. Doch dann biegt Moskwa um die Ecke, zwischen 50 shades of grey fließend  Noldehimmel zähmend.

#2: Bring Water, my Friend!
Eingeladen zum Gala-Dinner der Stadt Moskau darf ich mich zwischen Rotwein (Italien), Weisswein (Chile), Whiskey (Schottland) oder Wodka (Russian Standard Wodka) entscheiden. “Sparkling Water” allerdings müsste extra bezahlt werden. Mein ungläubiges Lächeln quittiert der Kellner mit einem verlegenen Tänzchen und verweist galant auf die Karaffe stillen Wassers am Tisch. Dass diese nur ungern nachgefüllt wird, versteht sich ebenso wie dass man mir mein Wasserglas bei erster Gelegenheit entführt. Erziehungssmaßnahmen der etwas anderen Art vermute ich und verweigere mich spontan, mein Wodkaglas mit Wasser füllend. Dann wird offensichtlich, dass auch Weingläser und Teller entführt werden, Weinflaschen endlich und Wasser zumindest still vorhanden. Well!

#3 Goodbye Spontaneität
Die Freundlichkeit, die ich mitgebracht hatte, verschenke ich großzügig an Servicekräfte, Kollegen und Mitreisende wie C., der bereits am ersten Tag lächelt, als wüsste er, dass wir uns viel zu erzählen hätten. Er kennt Moskau seit Jahren, flirtet mit ihren Ecken und Kanten und weiss mich neugierig zu machen auf die Kleinode, die ich mir für den letzten und freien Tag vornehme. Gut, dass ich noch Freundlichkeit übrig habe, auf meine Bitten, Englisch zu sprechen, kommt nicht selten ein herzhaftes Seufzen, ob das denn sein müsse und man selbst könne das nicht, aber eventuell der Kollege, ob man den holen solle, na gut, Momentchen. Momente, aus denen spielend Stunden werden und die, wir ahnen es, zwei, drei Sicherheitskontrollen nach sich ziehen. Im Supermarkt mit Visakarte zahlen oder ins Hotel einchecken dauert so einen Moment.

#4 Wetterchen, nein Dankeschön!
Als Sommer-Reise angekündigt, tun wir gut daran, Hamburger Mode zu tragen, auch wenn morgens die Sonne scheint. Immer wieder fällt Regen aus Wolken, die den Himmel mit Drama beziehen und die Sights gekonnt in Szene setzen, aber eben auch die abendlich angesetzte Kiez-Tour ausfallen lassen. Stattdessen ging es mit den Kollegen an die Hotelbar, die dem Alkohol sei Dank schneller die Contenance vergaßen als mir lieb war, plötzlich italienisch sprachen und mich aufs Zimmer flüchten liessen. Welt, was willst du mir sagen mit diesen Begegnungen zwischen viertel vor und viertel nach? Warum darfst du, Moskau, mir das Gefühl geben, so klitzeklein zu sein, so ameisig und unwesentlich? Warum darfst du über meine Zeit verfügen, meine Geduld auf die Probe stellen? Warum darfst du so unsagbar zweckgebunden sein, so bräsig und absolut? Warum fällt es mir so schwer, hier anzukommen, gar bleiben zu wollen?

#5 Down to Gorki Park
Erst als ich loslaufe und mich verirre in deinen Seitengassen, als ich hinter deine steingemeißelten Fassaden schiele und die Sonnenbrille trotz Regen aufbehalte, da beginnst du plötzlich zu lächeln, schiebst widerwillig einen Park um die Ecke, grünumflort mit Bänken und Fahrgestellen, mit Limo und Uferpromenade. Cake auf den Ohren “I want to love you madly” geht es die Leninallee hinan. Den Mund lass ich mir stopfen mit Walderdbeeren, die die Strassenverkäuferin kiloweise verkauft. Den Regen lass ich mir den Nacken hinabrinnen, bis ich schauernd Zuflucht suche in der nächsten Bushaltestelle und endlich dem Alltag begegne. Der lächelt unter selbstgebastelten Regenhüten hervor und dieses Lächeln behalte ich, den Refrain mitsummend. Ich stiere von nun an zurück, bis auch die Bauarbeiter grinsen müssen und mich gestikulierend auf die andere Straßenseite bugsieren.

#6 Moskau ist eine Baustelle
Gutes Schuhwerk ist Pflicht, nicht wegen der Distanzen allein, kaum ein Gehsteig, der nicht gerade im Umbau befindlich, kaum ein Bagger, der stillsteht. Moskau, ich mag deinen Willen zur Veränderung, deine Sturheit, deinen Bürstenhaarschnitt mit dem du deine Kuschelrocksammlung überspielst. Ich mag deine nur notdürftig kaschierten Wasserflecken, deine auf Effizienz gebauten und längst in die Jahre gekommenen Wohnblockeinheiten, deine patente Art, Unterführungen in Supermärkten zu denken, deine Bockigkeit, wenn es darum geht, etwas anderes als Russisch zu sprechen. Ehrlich. Ich hab nur auch nichts gegen Gastfreundschaft und Selbstironie, habe eine Schwäche für Wassergläser, offene Blicke und ich kann mich sehr an kleinen Regelbrüchen & Zärtlichkeiten erfreuen.

#7 Gegessen wird zu Hause
Gegessen wird viel und gern und unbedingt zu Hause oder im Restaurant, ganz sicher jedoch nicht auf der Straße. Streetfood ist nicht und auch nicht Bier auf die Hand. Coffee to go versuchen manche, aber es sind wenige, die den Becher mit auf die Strasse nehmen. Fast ebenso wenige greifen zum Fahrrad übrigens, dann sieht man schon eher hier und da Tretroller, angeschlossen oder in Aktion: ein einsamer Anzugträger etwa, der eine der gehwegschädenfreien Strecken entlangtrabt, schiebt, rollt.
Mittags oder abends, selbst morgens wird ähnliches aufgetischt scheint es: Fisch und Brot, Rote Beete; Meerrettich und Ei, Fleisch und sauer Eingelegtes. Ungelogen servierte man uns im Rahmen des offiziellen Teils an 6 Mahlzeiten nacheinander die gleichen Bestandteile in unterschiedlichen Kontexten und Variantenreichtum und von unterschiedlichen Gastgebern.

#8 Zu früh oder zu Wasser
Moskau zu lieben fällt mir am leichtesten morgens um 4, als die Straßen leer, das Licht warm und Moskau, selbst noch blass um die Nase, nach dem ersten Kaffee giert. Wenn der Tag sich erst warmturnt, noch nicht ganz sicher, was er heute anziehen soll und ob überhaupt aufstehen angesagt ist. Wenn die Strassenreinigung versuchsweise ein paar Schwünge fährt und die Bäcker ihre Auslagen bestücken. Da hast du diese Leichtigkeit Moskau, diese Möglichkeit auf den Lippen und im Augwinkel, die dir im Laufe des Alltags abhanden kommt. Nähert man sich dir zu Wasser, du am Ufer, wie ein Tiger im Zoo auf Distanz, wird schön, was vorher fast unerträglich: Deine schiere Masse, deine Unmenschlichkeit im Wortsinne, deine Affinität zu Beton und rechten Winkeln, zu Schablonen und Widerholungen, zu Eindeutigkeit und Effizienz.

#9 Big Nümmerchen
Baby, ganz ehrlich? Was du in den paar Tagen an Daten eingesammelt hast, geht auf keine Kuhhaut. Mit dem Visa fing es nur an, es folgten Codes, Registrierungsnnummern, Stempel, Kopien und Kopien von Kopien – sag, wer prüft das alles? Wer behält den Überblick? Wer will das wissen? Bist du komplett unterkellert und zwischen den Ubahnstationen sitzen Registrare, die nie das Licht, dafür Nummernreihen in Endlosschleife passieren lassen? Deren Büro aus Aktenordnern gebaut, denn wo sonst wolltet ihr eure Kopien abheften? Ist es das Schicksal all der Birkenwäldchen zu Papier zu werden, gesichtslos, gut zu drucken? Du siehst mich staunen und nur dass du mich trotz allem und nur unwesentlich fluchend mit einem falsch geschriebenen Nachnamen ausreisen lässt, gibt mir Mut, an deine Fehlertoleranz zu glauben. Und an uns.

#10 One for the road
Nächstes Mal lass ich die Tage links liegen und schenk dir Nächte. Die Stunden dies- und jenseits von Mitternacht möchte ich mit dir teilen, mit dir wachbleiben, bis der Rummel schlafen geht, alle Ablenkung abtaucht und wir zwei uns noch ein wenig tiefer in die Augen schauen können. Dann erzählst du mir, was dich umtreibt, was dich ächzen und stöhnen macht und was dich morgens aufstehen lässt, abgemacht? Ich möchte wissen, zu welcher Musik du tanzt, welche Museen dich durch den Winter kommen lassen, in welchen Fluss du dich stürzt, wenn du dich reinwaschen möchtest, ob du Überraschungen magst und welche Menschen dich an deine Zukunft glauben lassen. Ein Jahr ist mein Visum gültig, ich werde dich überraschen, habe ich mir überlegt und freu mich schon jetzt auf dein verdutztes Gesicht.

Generika

Sri Lanka – Die widerspenstige Schönheit

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“You don’t reach Serendip by plotting a course for it.
You have to set out in good faith for elsewhere
and lose your bearings serendipitously.”
– John Barth, The Last Voyage of Somebody, the Sailor
(Vorwort aus Richard Boyle:
Sindbad in Serendip – Strange tales and curious aspects of Sri Lanka

Sri Lanka war lange Jahre ein vager Sehnsuchtsort für mich, bevor sich Ende letzten Jahres tatsächlich die Möglichkeit einer Begegnung auftat. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und keinen Monat später standen wir uns gegenüber, die Insel und ich, schauten uns unverhohlen in die Augen, verführten uns aus dem Stand heraus und landeten schließlich an einem der windzugeneigten Strände. Na ja, jedenfalls fast!

Weder Sri Lanka noch ich sind Kandidaten für eine Nacht und bevor wir uns tatsächlich nahekamen, ließ mich Sri Lanka spüren, warum es Namen zu sammeln scheint und Besatzungsmächte. Und warum es so verführerisch wie fern.

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Ich lernte, meine Segel zu setzen und dann doch den Wind entscheiden zu lassen, an welche Küste er uns spülen möchte. Und ich lernte mancherlei für das Leben auch jenseits der Insel. Et voilà 20 (zwanzig!) Lektionen, Lectures möchte ich sie nennen, die uns Sri Lanka vorlas, einflüsterte und zuweilen mit dem Löffel auf die Zunge tröpfelte.

    1. Sri Lanka, die Träne in Indiens Knopfloch, dieses eigensinnige Inselchen, hat in den letzten Jahren einen zermürbenden Bürgerkrieg im Norden und einen zerfleischenden Tsunami im Süden hinter sich gebracht. Nachdem Sri Lanka sich endlich von Briten, Niederländern und Portugiesen befreien konnte, haben nun die Chinesen das Land entdeckt und suchen es sich stellenweise mit furchterregender Selbstgerechtigkeit einzuverleiben.

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2. Ein Hotel-Schild weist nicht unbedingt auf ein Hotel hin, sondern häufig eher auf ein Restaurant, das möglicher- aber nicht zwingenderweise zusätzlich Zimmer vermietet. Überhaupt dienen Namen und Kategorien eher der groben Orientierung denn der zweifelsfreien Zuordnung. So sind auch Street Food Stände und Restaurants in Sri Lanka nicht zwei unterschiedliche Konzepte, sondern zumeist gemeinsam am Start. Eine zusätzliche Außenküche erwacht zum Feierabend zu Leben und versorgt die Kundschaft, die keine Zeit oder Lust hat, sich zu setzen.

3. Essen spielt eine zentrale Rolle und wer bei Gerichten nur an Reis und Curry denkt, verpasst viel, auch wenn Reis und Curry häufig zentrale Bestandteile in den vielen anderen Gerichten spielen. Sri Lankas Küche ist eine, die von dem selbstverständlichen Gebrauch der heimischen Gewürzvielfalt und Aromen-Intensität, sowie dem Respekt gegenüber jeglichen Ressourcen, insbesondere aber Tieren und Pflanzen, geprägt ist. Vegetarisch ist die default-Einstellung, Fisch und selten Fleisch ergänzen feiertäglich oder in Küstennähe die täglichen Teller.

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4. Apropos Teller! Teller gibt es. Für unterwegs wird aber auch gern auf Bananenblätter und / oder Plastiktüten zurückgegriffen. Nicht ganz klar wurde mir die Logik des eingepackten Tellers, aber tatsächlich bekommt man in vielen Restaurants sein Essen auf einem in eine Plastiktüte gepackten oder mit Papier abgedeckten Teller serviert. Gegessen wird vornehmlich mit den Fingern, was ein umfassendes Vermischen der unterschiedlichen Curries mit dem Reis möglich macht. Denn Curries gibt es eigentlich immer in der Mehrzahl: Standard sind Parippu oder Dal Curry, wie man es aus der indischen Küche kennt, scharf, sämig, auf Linsenbasis, sowie scharfe Sambols, wie zum Beispiel Kokosnuss Sambol oder Seeni Sambol – regional unterschiedliche Variationen-einer groben Chilipaste, ähnlich dem Argentinischen Chimichurri, die für zusätzliche Würze sorgen.

5. Lächeln gilt in Sri Lanka nicht als Anstrengung, zubuchbare Zusatzleistung oder gar Anmache sondern als natürlicher Gesichtsausdruck und begegnet einem daher allerorts. Ein erwidertes Lächeln von dir als Tourist allerdings wird als Einladung für die Stellung dreier Fragen verstanden: What’s your name? Where are you from? For how long are you here? Und natürlich: How do you like Sri Lanka? Schön ist, dass man in Sri Lanka als Deutscher tatsächlich ausnehmend gern gesehen ist. Das Lächeln intensiviert sich zumeist in ein Strahlen, begleitet von einigen deutschen Floskeln und dem respektvollen Verweis auf guten Fußball!

6. Sagte ich schon, dass Dienstleistungen hier noch nicht der Arbeitsteilung unterliegen? So vermietet eigentlich jeder, der was auf sich hält auch Zimmer, vermittelt wertvolle Kontakte und weiß, wo der Tourist wohl als nächstes hinmöchte. Jeder beinhaltet hier explizit auch die Polizei, die sich das Büro der Einfachheit halber nicht selten mit der Touristeninformation teilt. Das kann Sinn machen, wenn die Touristeninfo aka örtliche Polizeidienststelle gleichzeitig Karten zu den Sehenswürdigkeiten herausgibt, das macht weniger Sinn, wenn der Polizist nur bedingt der englischen Sprache mächtig.

Serendip, name for the island of Sri Lanka (Ceylon). Arabic in origin, the name was recorded in use as early as 361 AD and for a time gained considerable currency. It is best known to speakers of English through the word “serendipity,” which was invented in the 18th century by Horace Walpole. Walpole was inspired by a Persian fairy tale, “The Three Princes of Serendip,” whose heroes often made discoveries by chance. Arab traders originally borrowed the name Serendip from Indian traders — it is in fact a corruption of the Sanskrit compound Siṃhaladvīpa (“Dwelling-Place-of-Lions Island”).

7. “Serendip” ist der Name, den das ehemalige Ceylon von den Seefahrern mit Anspielung auf die vor allem im Süden ansässige Ruhe und Gelassenheit der Löwenhaften (= Singhalesen) erhielt. Ruhe hat man besser auch am Start, denn vieles dauert. Bis das bestellte Getränk kommt, auch wenn es nur die in Sichtweite im Kühlschrank verführerisch lauernde Cola oder eine einfache Tasse Beuteltee ist. Nicht selten kommt das Getränk sogar weit nach dem Essen. Oder gar erstmal nur die Menükarte. Die ist nämlich öfter mal beschäftigt, wie man uns entschuldigend mitteilte: “Sorry, Menu is busy!” – Gibt es charmantere Entschuldigungen?

8. Dass das Besteck eher als Accessoire für Fremde denn als Tool verstanden wird, fällt auf, wenn man der originellen Position des Bestecks beim Anrichten Aufmerksamkeit schenkt. Servietten gibt es übrigens selten, und wenn dann gern aus recyceltem Papier. Hierfür hat jede Gaststätte, die etwas auf sich hält, ein Waschbecken im Gastraum, an dem man sich vor und nach dem Essen oder nach dem Toilettenbesuch die Hände wäscht. Häufig ist ein Trinkwasserhahn nicht fern, an dem man sich frei bedienen darf. Getränketechnisch ist ansonsten Tee dem Kaffee, der fast nur in Form von Nescafé vorhanden ist, vorzuziehen, Light-Getränke sind rar, Cocktails zu meiden. Dafür ein Prosit auf Fruchtsäfte, die adeln hier frisch gepresst noch das schlichteste Mahl und sind in einer schier endlosen Kombinationsvielfalt zu haben.

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9. Nach Ruhe gelüstet es den europäischen Besucher immer wieder, zumindest mich, insbesondere, wenn man es wagt, den Bus überland zu nehmen. Grundsätzlich kostet Reisen Zeit, oder mehr Zeit, als in Europa für vergleichbare Strecken einzuplanen wäre. Busse fahren erstaunlich regelmäßig, was auch daran liegen mag, dass sie grundsätzlich Vorfahrt zu haben scheinen, auch wenn sie bei waghalsigen Überholmanövern gerade auf der Gegenspur Geisterfahrer spielen. Die Hupe ist mehr Accessoire, denn gehupt wird hier viel, zum Kennzeichnen von Haltestellen, als Hinweis, doch bitte Platz zu machen, oder einfach als freundlicher Gruß, ob nun Bus oder Tuk-Tuk. Busfahrer genießen Respekt und werden auf Langstrecken von ihren Copiloten auch schonmal mit handverlesenen und geschälten Erdnüssen gefüttert oder mit einem rasch bei einem Zwischenhalt organisierten Eis bei Laune gehalten. Dass der Busfahrer neben Eis auch noch das Handy am Start und damit keine Hand mehr frei für das Lenkrad, weiß man lieber nicht, wenn man im hinteren Teil einen der Stehplätze ergattert hat und sich nach Kräften in aufrechter Lage zu halten versucht. Aber ja, er konnte im Notfall auch mit den Ellenbogen lenken!

Der Weg ist häufig das Ziel, nicht nur bei aufregenden Busfahrten. Zug fährt sich gut hier, kostet fast nichts, braucht aber Stunden. Wohl dem, der einen Sitzplatz hat und die Aussicht genießen kann.

10. Blieben wir eher enttäuscht bei sogenannten Safaris, bei denen man auszog, um Wale, Elefanten und Schildkröten gemeinsam aufzulauern, zeigte sich uns die wahre Schönheit und eigentlich alle wilden Tiere eher auf dem Weg. Auf dem Weg zu Fuß an den Strand etwa der wilde Pfau, am Strand sitzend und eigentlich den Sonnenuntergang genießend, wilde Schildkröten statt Surfern im Kampf mit den Wellen. Oder aus dem Tuk-Tuk heraus auf dem Weg zum Felsentempel die Reisfelder samt Wasserbüffeln, Elefanten, Flughunden, Affen und Eseln: Highlights en passant in kaum mehr verdaubarer Dichte am Rocksaum Sri Lankas! Die bunt schillernde Vogel- und Schmetterlingspracht war gar allgegenwärtig, wenn man nur früh genug aufstand, was leichter fällt, wenn der Himmel verlässlich blau und ab 10 Uhr die Hitze schon zum Niederknien. Abends auf dem dunklen Weg schenkte mir Sri Lanka meine ersten Glühwürmchen, die mich so sehr verzückten, erst recht als sie uns ins Zimmer folgten und die Außenkanten unseres Moskitonetzes erleuchteten.

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11. Die friedliche Koexistenz unterschiedlicher Religionen erstaunte, die Pracht an Krippen in Privatgärten und Dorfmitten verwunderte, niedlich fand ich erst die Toiletten für Foreigners am Bahnhof. Verstört haben mich die “Foreigners only”-Schilder an Hotels, Resorts, Restaurants, Cafés, Surfschulen – what the heck?! Dafür reicht das Bestätigen der oben angeführten Fragen-Trilogie, um nachts auf der Strasse gebeten zu werden, sich als neuen Facebookfreund ins allgegenwärtige Smartphone zu verewigen. Wobei! Tatsächlich wird hier analog noch groß geschrieben, Rechnungen kommen handgeschrieben und summiert auf recyceltem Papier daher ebenso wie das Street Food in alten Matheheften serviert wird, die Bahn gibt Papiertickets aus, die nur am gleichen Tag und bar bezahlbar sind. Überhaupt ist nur Bares Wahres, am besten büschelweise und in kleinen Scheinen.

12. Würden wir uns des Car-Sharings rühmen, würden die Singhalesen nur müde lächeln. Räder werden hier grundsätzlich geteilt, Fahrräder mindestens zu zweit gefahren, gleichzeitig, Motorräder transportieren ganze Familien, essender- oder telefonierenderweise. Dass man auf die Idee kommt, statt eines Motorrades ein Fahrrad zu wünschen und auch auf Nachdruck bei der Entscheidung bleibt, löst ungläubiges Lächeln aus. Den nicht vorhandenen Motorrad-Führerschein als Argument anzuführen, intensiviert diese eher. Das Tuk-Tuk schliesslich transportiert auf seinen drei Rädern Großfamilien zum Strand, den Mörtel zur Baustelle und den Thunfisch ins Restaurant. Uns und unser Gepäck allemal stundenlang überland.
Ob Bus oder Bahn, die Mitreisenden sind an deiner Seite und stehen dir mit Rat und Tat zu Fragen wie welcher Bus, welcher Halt, welche Verbindung, wann die Reissleine ziehen, gerne zur Seite.

13. Apropos “überland”: Wenn es irgend geht ist die Bahn dem Bus vorzuziehen, und zwar u.a. der Sitzplätze, der Gepäckverstauungs-Möglichkeiten, der Frischluftzufuhr, den Haltezeiten, der Möglichkeit, mal ein paar Schritte zu gehen, der vorhandenen Toiletten und der Infrastruktur an fliegenden Händlern wegen.
TIPP: An Bahnhöfen nach Aquarien Ausschau halten. Orte, an denen gewartet wird, sind in Sri Lanka gerne gestaltet: Mit Warteplätzen, Toiletten und Blumen – und nicht nur aber insbesondere auffallend im Falle von Bahnhöfen mit Aquarien.

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14. Religion ist so allgegenwärtig wie selbstverständlich in Sri Lanka. Der Buddha aber thront über allem, im Felsen, am Strand, und kein Tourist der, ohne eine Tempelbesichtigung das Land verlassen hätte. Man stelle sich das umgekehrt in Europa vor. Wer war noch gleich Jesus? Jesus darf in Sri Lanka aber ebenso wie Buddha thronen, ob Kirche oder Tempel erkennt man zuweilen erst wenn man dicht davorsteht. Dann aber erkennt man den Buddha und seine Posen sofort. Immer aufrecht, mal sitzend, mal liegend, mal stehend, nicht immer aber oft in ein Farbenmeer gekleidet, dass die Gläubiger mit ihren Blumen noch zu übertrumpfen suchen. Die Affen freut’s, sie haben hier Narrenfreiheit und genießen diese sichtlich.

15. Manch ein Tempel hält sich Elefanten fürs Grobe, Kühe sind natürlich auch da und wir Menschen? Wir begegnen ihm Barfuß, dem Gott, dessen Fußabdruck in Sri Lanka vielerorts Verehrung findet, der sich den Gemälden nach gern mit scheuen Rehen umgab, deren Sprache er der Legende nach fließend sprach. An der Anordnung seiner Zehen, so gemahnt eine Tafel, erkennten wir seinen Zustand: in einer Linie = schlafend, versetzt = tot. Noch mehr Verehrung erfährt sein Zahn, dem in Kandy ein eigener Tempel gewidmet. Kandy, Zahn, ein Schelm, wer da an Karies denkt!

16. In Sri Lanka gilt der Sinn mindestens so viel wie der Verstand. Die Restaurants bezirzen einen erfolgreich mit Düften, der Milk-Tea hat nicht nur geschmacklich dem Instant-Kaffee einiges voraus, auch wenn er mit Milchpulver angerührt wird. Nie so viel Werbung für Milchpulver gesehen, wie hier. Frische Milch und Milchprodukte sind etwas, das man in Sri Lanka vergeblich sucht. Zu Recht. Das Klima würde sie binnen Minuten gerinnen lassen. Zu Recht verloren hat in diesem Land auch, wer keine Audio-Marke hat, man hupt, schreit, klingelt, der Muezzin singt, die Tiere blöken, muhen, singen, die fliegenden Händler, die in ihren Tuk-Tuks durch die Gassen kurven machen mit Jingles auf sich aufmerksam.

Tipp: Es gibt eine Ausnahme in Sachen Milchprodukte vornehmlich im Süden des Landes und das ist Büffel-Joghurt der durch den Reisanbau allgegenwärtigen Wasserbüffel. Fest, herb, cremig wird er in Tonschalen ungekühlt verkauft, hält 2-3 Tage und wird zum Frühstück oder Nachtisch serviert mit einer anderen regionalen Köstlichkeit: Curd with (Kithul) Treacle, einem auch ein wenig herben Palmensirup.

17. Am markantesten tönen die Bäcker mit einer Variation von Pour Elise, die einen zuweilen morgens um fünf bereits am eigenen Verstand zweifeln lässt, wenn sie dich in Endlosschleife tirilierend aus dem Tiefschlaf holt. Überhaupt Bäcker! In diesem Land, das auf Reis gebaut zu sein scheint, gibt es gefühlt kein Dorf ohne Bäcker, was sag ich ohne Kuchendesigner. Teatime wird hier dank der englischen Besatzung großgeschrieben und süßes Gebäck in allen Farben und Formen ist Teil der kulinarischen Folklore.
TIPP: Die größeren Bäckereien verfügen meist über eine Klima-Anlage zum Genuss ohne Schweiss-Ausbruch.

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18. Ansonsten hat man es als Marke nicht leicht hier, scheint es. Das Pizza Hut-Logo begegnet einem als Pizza-Hot und in diversen Abwandlungen, ähnlich erging es Subways Sandwich, das hier als Delisandwich zumindest deutliche Anleihen am Design genommen zu haben scheint. Grundsätzlich gibt es auf den Märkten alles ohne Marke und in schier überwältigender Masse, ob frische Mango oder Reissverschlüsse, Schuhe, Taschen, Schalen, Tupperware und insbesondere Trinkflaschen für den täglichen Trinkwasservorrat. Und natürlich Regenschirme, die hier zugleich als Sonnenschirm zum Einsatz kommen. Es gibt alles, nur nicht das am nächsten liegende in einem Land, in dem die Sonne zumindest saisonweise vom Himmel brennt: Sonnenbrillen!
In den Städten, die nicht für Fußgänger gemacht zu sein scheinen, sieht erstmal alles nach Autohaus aus – egal ob Bank, Apotheke, Restaurant oder Supermarkt. Die Hausnummerierung scheint man sich von den Berlinern abgeguckt zu haben: Wohl dem der mit GPS unterwegs ist.

19. Sri Lanka berührt nicht nur im übertragenen Sinn. Man berührt sich unabsichtlich im Marktgedränge oder Bus und absichtlich als Friedensbekundung, zum Kennenlernen und um zu ertasten: Was ist das was du da hast? Nie wurde ich als Diabetikerin so direkt gefragt, was es mit dem Sensor auf meinem Arm auf sich hat. Wo der Deutsche erst heimlich verschämt schaut, hat der Singhalese längst hingefasst und neugierig gefragt. Diabetes versteht man hier nicht nur, man hat auch ein ganzes Arsenal an naturheilkundlichen und/oder ayurvedischen Pflanzen und Gerichten am Start. Bittere Säfte werden aus der gelben Amarela-Frucht gepresst, das Frühstück angepasst und das abendliche Curry spontan um einen blutzuckersenkenden Salat ergänzt.

20. Ein Genuss: Dieses intuitive Wissen, das hier jede Köchin am Start hat, passt zu den allgegenwärtigen Mystik-Schwaden, die Tiere wie wilde Pfaue oder jahrhundertalte Schildkröten-Omas und Elfenten-Babies nonchalant aufziehen lassen: Wer möchte nicht von einem radschlagenden Pfau dazu bewegt werden, den Strand noch nicht zu verlassen, um sich erst zu ärgern und dann zu freuen, weil man so den Sonnenuntergang sieht und sonst verpasst hätte.

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Es bleibt, sich das Nationalgericht Kotthu ans Kotti zu wünschen und laut “Stutti!” zu rufen – Stūtiyi geschrieben und mit hanseatischem “ST” gesprochen: Bohoma istouti – Herzlichen Dank!

Zugabe: Best of Sri Lanka

Bestes Reis & Curry:
Rice & Curry Buffet, Mamas Place, Midigama (200 Rupien)

Bestes Hauptgericht:
Bot Butter Cuttlefish, Angels Restaurant, Kalpitiya

Köstlichster Nachtisch:
Hopper mit süßer Füllung aus Kokosnuss und Palmhonig
“Curd and Trickle” (Büffeljoghurt mit Palmhonig)
Frittierte Brotfruch an Orangen-Parfait

Schönster Strand:
Ranna National Beach
Kalpitiya Beach

Feinstes Frühstück
Traditionelle Egg Hopper mit Coconut Dambol, Mamas place, Midigama (300 Rupien)
Kurakkan Coconut Roti, eine Spezialität im Hochland
Sri Lankan Omelette

Grossartigster Juice-Dealer:
AVM Creamhouse, Weligama (so unscheinbar wie legendär servieren die Jungs hier Saft und Smoothies in allen nur wünschbaren Variationen, mit und ohne Zucker, Milch, Eiscreme, und vollgepackt mit Aromen – von Früchten und  Rosenwasser über Datteln und Avocado bis Saporella und Holzapfel ist alles am Start)

Zuverlässigster Glühwürmchen Spot:
Wethiwala Street, Midigama

Tollstes Guesthouse:
Jaluwella Garden, Rekawa
(Hier stimmte einfach alles und es gibt eins unserer liebsten Curries: Ammas Tumbe-Curry!)

Berührendste Safari:
Schippern durch die im Sonnenuntergang, Ranna (2000 Rupien)

Coolstes Restaurant:
Hawaiian Restaurant, Kalpitiya (Bestellen per Fingerzeig, Wasser aufs Haus, Bier eisgekühlt und Neighbourhood Watching galore)

Und last but not least: Das nachhaltigste Street Food Erlebnis:
Ideal für den letzten Abend, um Abschied zu nehmen und wenn der Magen sich bereits an die Küche gewöhnt hat: Der heimliche Street Food Markt rund um die Hulftsdorp Street Colombo – einfach selbst durchfuttern oder den Tips hier folgen. (Ganz Mutige greifen tatsächlich zum Lammhirn, aber auch wer beim Chicken bleibt, erlebt nicht nur kulinarisch eine Horizonterweiterung).

 

Ein Nachschlag in Sachen Bilder  gefällig? Et voilà!