Benn loxo du tàccu. (One hand cannot clap.)
Senegambian Proverb
“Hier” lässt sich alles verhandeln, besprechen, zusammenflicken. Hier entsteht die Poesie aus Staub kiloschweren Kopfbedeckungen. Hier teilen sich atemberaubende Schönheit und entwaffnende Armut eine Existenz, die so absolut wie vulnerabel. Hier hat die Unendlichkeit schlechte Karten, denn Zeit wurde nie erfunden oder wieder abgeschafft, weil nicht zu gebrauchen für dieses Leben im Interim: alles im Fluss. Straßen entstehen im Fahren und vergehen unter unseren Füßen, wenn der Regen seine Zeit für gekommen betrachtet. Strom und Trinkwasser sind alles, aber keine Gegebenheiten, wie auch sonst noch der liebgewonnenste Glaubenssatz unter der offensiv scheinen Sonne zerfällt. Hier?
„Hier schlagen wir die Zeit tot, während dort, wo ihr lebt, die Zeit euch tötet.“
Das Leben hier wird vorzugsweise draußen gelebt und das mit und für alle Sinne: Farben, Gerüche und Kommunikation sind überall und ständig, mal laut, mal lässig, mal verführerisch, mal ekelerregend, mal dominant, mal subtilst, mal hyper- mal surreal. Gedachtes findet sich auf Häuserwänden, ob Humor, Verzweiflung oder Call to Action. Die Vergänglichkeit ist keine Bedrohung sondern Selbstverständlichkeit, Werdendes und Verworfenes haben die gleiche Existenzberechtigung wie Neues, Funktion und Funktionieren sind nur eine Option von vielen. Zeitangaben was für Anfänger, das Warten ist Teil des Spiels und nur wer sich dem Rhythmus ergibt und seinen Glauben an die Selbstwirksamkeit aufzugeben bereit ist, wird Teil des Spiels, in dem Allah wenig falsch machen kann.
Im Zweifel? Inshallah!
Die Eliten regieren im Hintergrund, ihren Reichtum verschwendend, ihre Macht sorgsam hütend, während sie wie wir Europäer auf ihre Privilegien bestehen: Klimaanlagen und Pools, Hygiene und Narrenfreiheit, Ketchup und Wifi, Deutungshoheit und Planbarkeit. Und das trotz oder wegen der ubiquitär vorherrschenden unendlichen Müllansammlungen, zwischen den heruntergekommenen Gebäuden und sich nie lautlos bildenden Staus aus Eselskarren, dreifach mindestens überladenen Taxibussen, Ziegenherden und Pick-Ups. An den Kreuzungen warten statt Schildern und Ampeln Straßenverkäuferinnen mit der Ernte der Mango- und Cashew-Bäume, Handy-Zubehör und Zahnpasta.
Zwischendurch blitzt buntgemusterte weibliche Anmut auf und ist im nächsten Moment verschluckt im Getümmel von Fischköpfen und Plastik-Geschirr, Fettgebackenem und Autozubehör. Man trifft auf wegen „Malaria“ ausgefallene Stromgeneratoren, kleine Läden mit Namen wie ‚Tesco‘ oder ‚Sainsbury’s‘, die alles mit 50 % Rabatt oder manchmal sogar „Billiger als umsonst“ verkaufen, die Rechtschreibung ist wild, das Sortiment wechselt mindestens täglich. Worin besteht die Freiheit in einem Alltag, wonach lässt sich regeln, wenn Zeit und Raum tatsächlich relativ? Wer sorgt für Sicherheit, wenn “morgen” ebenso unfassbar wie Gerechtigkeit? Was lässt sich glauben, wenn zwischen allem und nichts, alles und nichts Bestand hat?
Die Frage nach dem “Job” scheint obsolet, die nach der Zugehörigkeit dagegen offensichtlich: Diola oder Wolof, Mandinka oder Serer, Fulbe oder Toucouleur. Zäune und Mauern verweisen auf Besitz- und Machtverhältnisse, Grenz- und Militärkontrollen stellen sicher, dass jeder spürbar gegenwärtig hat, wo sein Unabhängigkeit endet und das kann sehr deutlich werden. Eine Herde Ziegen, ein Bündel Geldscheine, eine erkleckliche Anzahl Immobilien sind wenigen vorbehalten, der Rest übt sich in konstruktiver Resignation, die auch die klimatischen Verhältnisse einschließt. Wohl dem, der sich eine trotzige Gesundheit und ein sonniges Gemüt bewahrt, es kann gut sein, dass sich die Gründe für gute Laune und Zuversicht längerfristig rar machen. Wobei, wer braucht schon Zuversicht, wenn die Zukunft noch nicht erfunden?
Und dann gibt es ja da noch den Sternenhimmel, den Glauben und die Familienehre. Das Heimatgefühl und die Baobab-Bäume, die nähren und trösten, dem sandigen Boden Nährstoffe abtrotzen um Superfood galore zu produzieren und mit ihrer Silhouette gegen den Sonnenuntergang antreten, wohlwissend gemeinsam ein Bild zu ergeben, dem sich schwerlich widerstehen und nur mit einem geseufzten Hach! begegnen lässt. Der Baum als Landmark in einem Land ohne Berge, als Zeuge eines Lebens in Gemeinschaft, in dem Familie und Freunde das Auskommen sichern, die mentale und körperliche Gesundheit, die Moral und den Zusammenhalt, und Abhängigkeit des Individuums in das örtliche Kollektiv, in dem jeder und jede seinen Platz hat.
Hello darling, how are you?
Wenn du wüsstest, my dear! Wo anfangen zwischen beschämt und überfordert, fasziniert und verstört, befremdet und verführt, verschwitzt und alert, genervt und gerührt? Wie in gemeinsame Worte fassen, was mir selbst noch fremd im Mund? Wie eine Antwort geben auf Fragen, die ich weder mir noch dir gerade zu stellen wage: Wie die Anfänge(r) und Enden zusammenfädeln, und wenn ja, wo? Wie der Wirtschaft die Politik schmackhaft machen und dem großen Ganzen klar, dass nicht nur die Teile Teil eines größeren Ganzen, sondern auch das große Ganze aus vielen Einzelnen besteht? Wie den Teilnehmern das Teilgeben beibringen und der Transformation die Steine aus dem Weg räumen?
Consider listening, another world is possible, fordert die Kunst in Berlin. Well, wollen wir nicht erst einmal unsere Welt in den Arm nehmen, bevor wir uns anderen Welten widmen? Das Nötige möglich machen, ehe das Mögliche nötig wird?