„Die beglückende Erfahrung,
in der Staatsbibliothek in sich selbst spazieren gehen zu können,
haben seit zwanzig Jahren Hunderttausende gemacht.
Sinnvolleres kann Baukunst nicht erreichen.”
Holger Kleine, Architekt, 1999
Der Ruf nach Forschungsförderung, nach Innovationsgeist und wissenschaftlichen Durchbrüchen made in Germany ist dieser Tage Konsens, möchte man meinen mit Blick auf die einschlägigen Blätter und Panels meinen. Aber wo findet sie statt diese Forschung? Wo arbeiten die Wissenschaftlerinnen an ihren und unseren Durchbrüchen? Wo entwickeln unsere guten Geister Innovationen? Kurz: Wer forscht woran, wie lange, mit welchen Kooperationspartnern? Und mit welchen Büchern und Quellen?
Weltwissen zu Berlin
2009 feierte Berlin das Jahr der Wissenschaft und damit den Wissenschaftsstandort Berlin. Ein Jahr der Veranstaltungen endete in einer finalen Ausstellung um Martin-Gropius-Bau: Der Titel WeltWissen Berlin – 300 Jahre Wissenschaft in Berlin bezog sich auf die Institutionen, die zeitgleich Jubiläum feierten: 300 Jahre Charité, Universitätsmedizin Berlin, 300 Jahre Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, 200 Jahre Humboldt-Universität zu Berlin, sowie 100 Jahre Max-Planck-Gesellschaft, vormals Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Ich hatte die Freude, eine Auswahl an aktuellen Forschungsprojekte für diese Ausstellung zu kuratieren und zu porträtieren: Wer forscht wo in Berlin gerade woran? Spoiler alter: Von Koranforschung bis Frosch-Taxologie, von Botanischem Garten bis HTW in Oberschöneweide war alles dabei. Meine innere Landkarte Berlins ist seitdem auch eine der Forschungsstandorte.
Berlin – Stadt ohne Eigenschaften? Wissenschaftliche Provinz?
Aber zurück zu den Anfängen dieser heute prestige-trächtigen Institutionen. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts galt Berlin im Vergleich zu anderen Residenzen als wissenschaftliche Provinz. Doch binnen weniger Jahrzehnte machte sich Berlin in der Wissenschafts-Szene einen Namen, eine rasch zunehmende Qualität und Dichte an Bildungs- und Forschungsinstitutionen zog eine Vielzahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an, deren Erkenntnisse bis heute Weltgeltung beanspruchen dürfen. Mit einer Fülle von Exponaten und Texten zeigte die Ausstellung Welt Wissen den Facettenreichtum und die Dynamik vergangener und aktueller Forschung, die Berlin zu der Wissenschaftsmetropole haben werden lassen, die sie noch heute ist. Dabei wurden neben herausragenden, die Zeiten überdauernden Ideen (im wissenschaftlichen Sinn) und wegweisenden Erfindungen ebenso die Um- und Abwege, Irrtümer und Verfehlungen, Brüche und Neuanfänge gezeigt. Wissenschaft wurde nicht auf ihre Ergebnisse reduziert, sondern als Gesamtheit kultureller Praktiken: als Suche und Experiment, Streit und Konkurrenz, als Vermittlungs- und Lehrauftrag, als Reise und Recherche, als gemeinsamer gesellschaftlicher Auftrag und als politisches Vehikel.
Berliner Tatorte der Wissenschaft
Teil der Ausstellung war eine Landkarte, oder vielmehr einen Stadtplan Berlins, auf dem die Wissen schaffenden Orte, die Tatorte der Wissenschaft, eingezeichnet waren: die Labore und Lehrsäle, die Forschungsräume und die Bibliotheken, etwa die Universität- und Fachbibliotheken, Archive und Magazine, und allen voran die zwei Häuser der Staatsbibliothek zu Berlin. Deren enorme fachliche Tiefe und Breite kommt nicht von ungefähr. Bereits im Jahr 1661 gründete Friedrich Wilhelm von Brandenburg auf Basis seiner Sammlungen die Churfürstliche Bibliothek zu Cölln an der Spree. 1701 wurde daraus die Königliche Bibliothek zu Berlin und zog neben die Humboldt Universität an die Nordseite des Boulevards Unter den Linden. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Institution zwischen den beiden politischen Lagern in Ost- und Westdeutschland aufgespalten und erst im Jahr 1992 wieder zusammengeführt. Unter dem Namen Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz werden seit 1992 schließlich die beiden Standorte in einer Bibliothek in zwei Häusern geführt.
Die Staatsbibliothek, das Akademische Wohnzimmer Berlins
Heute finden sich in den eindrücklichen Lesesäälen explizit reservierte Tische und Arbeitsplätze für die zahlreichen zumeist incognito arbeitenden Forscher und Wissenschaftlerinnen, damals zur Zeit Friedrich Wilhelm von Brandenburgs galt die Bibliothek als das Akademische Wohnzimmer Berlins. Von der internationalen Bedeutung damals wie heute zeugen Lage und Ausmaße der Gebäude ebenso wie die Schätze, die sich demjenigen offenbaren, der die Recherchetools von Realkatalog bis StabiKat beherrscht: ein Teil des wissenschaftlichen Nachlasses Alexander von Humboldts, Schillers Doktorarbeit, Autographe von Gotthold Ephraim Lessing, Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich von Kleist, Blockdrucke der frühen Ming-Zeit und das älteste Druckwerk der Welt aus Japan (764/770), die Nachlässe von u.a. Gerhart Hauptmann, Dietrich Bonhoeffer, Gustaf Gründgens und – zum UNESCO-Kulturerbe zählend – die Originalpartitur der Sinfonie Nr. 9 d-Moll von Ludwig van Beethoven, die Originalpartitur der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach, ein Nürnberger Druck der 95 Thesen gegen den Ablass von Martin Luther, sowie die hebräische Handbibel Martin Luthers. Bereits auf den ersten Blick eindrücklich und offen einsehbar im Kartenlesesaal der Himmelsglobus von Gerhard Mercator aus dem Jahr 1551. Amen.
Wie spannend wäre es, fragte ich mich unlängst bei einer Führung durch Martin Hollender durch das Haus Unter den Linden, sichtbar zu machen, wer hier und jetzt gerade forscht und woran. Auch, was hier in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurde? Und, wenn wir hier von den akademischen Wohnzimmer sprechen, wo ist die akademische Küche, in der die Party steigt? Gibt es ein Vorzimmer? Einen Salon mit regelmäßigen Einladungen? Wer wäre geladen?