Gedanken

Frostnatur

Immer wieder Gänsehaut. Trotz der Sonne. Aufgrund der Sonne. UV-gebleichte goosebumps dicht gedrängt auf einem Hautfleck. Deinem Hautfleck, nicht weit von meinem. An Wasserstoff und Helium geröstet, luftgetrocknet, kross gebräunt. Dampfend. Meilenstiefelschritte unter dem Brustbein aber Herzfrösteln, eisige Schauer insbesondere an der moosigen Nordwand. Die herzimmanenten Kolonialillusionen, sein imperiales Gehabe waren mit dem Verlassen des mütterlichen Mundes bereits in sich zusammen gefallen und konzentrierten sich fortan auf das Kuria-Muria-Archipel. Musselintrunkenen Schrittes wagte er dort den ein oder anderen Strumpfbandwechsel am mosquitoumschwärmten Straßenrand, tunlichst fern jeder Laterne.

Das rechte Knie dabei einen nur dem Eingeweihten erkennbaren Hauch zögernder gebeugt, bleibt das Herz jenseits der Raumtemperatur und damit eindeutig unterkühlt. Ihn friert es achselbeugenzentriert, Gänsehaut in linksgedrehten konzentrischen Kreisen nun auch sichtbar auf der Epidermis verbreitend, sichtbar gar, hätte er heute im allmorgendlichen Grauen nicht vorausblickend zugunsten seines petrolfarbenen Leinenblazers auf das sonst so gern gewählte graumelierte Muskelshirt verzichtet. Oberflächenspannung braucht sich nicht erst einzustellen, sie ist ohnehin vorhanden und wird durch die sich synchron erhebenden seit Jahren tagtäglich barbierten Follikel nur mehr grenzwertig maximiert. Er lächelt seinem imaginären Betrachter denn auch gleichermaßen entschuldigend und beruhigend zu.

Es bleibt die Hitze eines Sommertages irgendwann so Mitte August außen vor. Er selbst bleibt zwar beschienen aber ungewärmt, die inwendigen Eisregen ungebremst. Seine Fingerkuppen nach innen gestülpt streicht er sich den schmerzenden Nacken, lockert die lange schon des Lächeln müden Lippen und sucht in neumodischen, dadurch allerdings viel zu klein geratenen Hosentaschen nach dem letzten Rest feuchter Wärme vom letzten Teebeuteltransport. Pfefferminz erkennt er, das Bekennerschreiben bereits im Kopf wenigstens aufsetzend, eindeutig Pfefferminz. Deren erfrischende Wirkung hatte ihm gerade noch gefehlt, schmunzelt er zwischen zwei wohlformulierten Sätzen: Es wurde bewusst versäumt, ausreichend Wärme während der Sommertage im Gewebe zu speichern.

Gedanken

Unter Medusas Lächeln

Marmornen Fußes versucht Medusa mir gegen Ende des Morgens meine tägliche Portion verschwörerisches Lächeln durch die ungeputzten Scheiben zukommen zu lassen. Heute mangels solarbetriebener Mundwinkelkrümmung vergebens, dafür küsst ein Paar sich, Medusas Blick entzogen eine Häuserecke weiter weltvergessend. Prompt spürt mein rechtes Handgelenk den Willen der einzelnen Finger seiner Hand, die unwillkürlich nach fremder Haut tasten. Ihre Kontraktionen strahlen bis weit über den Ellbogen hinaus, kitzeln gar das Schulterblatt und den ihn umgebenden Schmerz wach.

Einen Schluck Kaffee später bereits, ist das Paar verschwunden und Medusa beehrt mich mit gönnerhafter, leicht spöttischer Aufmerksamkeit. Es träumt sich gut südwestlich ihres Wangenknochens und doch zieht es am Ende des Tages einen jeden und auch mich gar hastigen Schrittes in die nächste Gasse, Schutz zu suchen vor nicht nur ihrem Blick, und sei sie noch so schmal. Und mitunter wäre ich um eine Sonnenbrille, blickdichte Strümpfe und die Möglichkeiten einer lautlosen Gardinenstange dankbar.

Die lauwarme Tasse umklammert, zügle ich die Reichweite meines Augenlichtes, angepasst an die schlierigen Doppelglasscheiben. Auch mein Lächeln darf nurmehr bis zum Türknauf säuseln, jenseits liegt nun Sperrgebiet. Für heute zumindest gilt es, die Konzentration auf die Fingerspitzen zu richten und Medusa links liegen zu lassen. Im Regen stehen. Eiskalt. Ungeküsst. Spoliencharme hin oder her, ich habe zu tun.