Gedanken

Out of the light

Nicht sich verführen lassen, vom Schein der Kerze. Dem Schatten trauen. Und immer wieder auch die Augen schließen, dem Tag nichts als die Stirn bieten. Geduld.

Dem Zittern nicht nachgebend, die Knie enger zusammen rücken, das Kinn Richtung Schreibtischplatte. Den Mund geschlossen, die Pupillen zentriert, darf nur der kleine rechte Zeh sich unter der Strumpfmaske krümmen.

Die Ohrmuschel nach innen gerichtet, bleiben die Worte ungehört. Pseudo-gelassen räkeln sich die Synapsen, täuschen Coolness vor. Die Nasenflügel verraten die Pein, Taubheit schützt vor Angstschweiß nicht.

Gedanken

Ungewollt betarnkappt.

Ich weiß nicht, wie oft ich mein Gedächtnis schon verflucht habe, denn es beschränkt sich nicht etwa auf Geburtstage, Telefonnummern oder sonstige Gesprächsinhalte. Nein, es umfasst auch die dazugehörigen Gesichter. Die Latte, über die sich ein Gesicht hieven muss, um von meinem Gedächtnis als erinnerungswürdig kategorisiert zu werden, hängt denkbar niedrig. Erdbodennah. Ist quasi nicht vorhanden. Ein kurzes Gespräch, ein ausgetauschtes Lächeln nur oder ein Blick – eingemeißelt bis in alle Ewigkeit.

Dass dieser Segen, den ich zu Schulzeiten noch dankbar auskostete, sich zum ausgewachsenen Fluch mauserte, liegt in einer anderen Eigenart begründet, mit der er einhergeht. Mein Gesicht kann sich niemand merken, dann schon eher meinen Geburtstag. Aber was bringt mir der, wenn ich dem Mann auf der Straße begegne, mit dem ich am Abend zuvor an der Bar geflirtet hatte, ihm ein strahlendes Lächeln zuwerfe und von ihm nichts als einen konsternierten Blick erhalte? Wenn die Kollegin, mit der ich in der Woche zuvor das Projekt ausbaldowert habe, am Tag X die Zusammenarbeit verweigert, weil das nur mit der Blonden ginge, mit der sie das Projekt entwickelt habe? Wenn die Dame mit der ich ein Wochenende lang gemeinsame Themen diskutiert habe, am nächsten Tag durch mich hindurchschaut?
Kurz, wenn mein Lächeln unerwidert, der anknüpfende Spruch unausgesprochen und die Wiedererkennung aus bleibt!

Der Effekt ist ein subtil zermürbender, angefangen vom Flirt der sich nicht erinnert und einem damit deutlich macht, das man weit weniger Eindruck hinterlassen hat als umgekehrt. Über die Kollegin, der man umständlich erklären muss, dass man selbst die Person ist, auf die sie noch warten zu müssen glaubt ohne dass es ihr allzu peinlich ist. Bis hin zu all den anderen Kontakten, die so mühelos geknüpft wieder gelöst wurden bevor sie genossen werden hätten können. Ich mag gar nicht an all die Menschen denken, die ob meiner Aufmerksamkeit oder meines Lächelns verunsichert und verwirrt das Weite suchten, da sie sie nicht einordnen konnten – es gab ihrer viele und nicht immer hatte ich den Mumm, die Situation aufzuklären. Zu erniedrigend erschien es zuweilen, sich dem andern wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Es bleibt der Rat des aufdringlichen Hilfsbrillenverkäufers (oder Brillenhilfsverkäufers?), der mir riet, die eigene Unscheinbarkeit mittels eines ausgefallenen Gleitsichtmodells zu kaschieren. Noch verweigere ich mich dieser Lösung allerdings.