Gelage

Dein Rücken, eine Einladung zur Mäander

Wer wohl auf die Idee kam, ein einziges Wort, ein Wort wie Rücken für dieses Land mit eigentlich nur fühlbarer Grenze auszuwählen? Rücken, als könnte man ihn rücken, verrücken, rüberrücken, als könnte man von ihm abrücken, ihn unterdrücken vielleicht gar; dabei tut er gerade in deinem Fall vor allem berücken, und zwar mich. Von zwei Schultern überdacht, einer Wirbelsäule getragen und, geteilt in rechts und links, ist er mir Meister des nonverbalen Imperativs: Touch me! befiehlt er meinen Händen und Wangen, sie mögen sich auf ihn legen, an ihn schmiegen, ja, definitiv näherrücken.

Auch meine Augen fühlen sich von deinem Rücken angesprochen, angezogen im positivsten aller Sinne, magnetisch über Stunden hinweg. In teils kompetitiv ausufernder, teils versöhnter Ergänzung zur Berührung qua Handinnenflächenanteilen, den Fingerbeeren, den Ballen, flaniert mein Blick wieder und wieder über seine Körperschaften, erkundet Mulden und Perspektiven, grast Grenzlinien ab, spürt Ruheoasen auf. Nicht müde werdend, denn im Gegenteil nährend scheint dieses als Rücken wirklich nur ungenügend gefasste Terroir auf meinen Leib zu wirken. Kaum Ecken und Kanten, dafür viele unterirdische Flussläufe, Erhebungen aus längst vergangenen Zeiten, manche knochig Zäsuren andeutend, andere sich bei der leisesten Berührung in Bewegung bringen lassend.

Aus der Distanz ergibt sich ein Escher’scher Kosmos, der sich mit jeder deiner Bewegungen, meist erwischt mein Blick ihn zur Gänze nur im Schlaf, etwa in den frühen Morgenstunden, wenn die Decke dich freigibt und das Licht bereits ausreichend aktiv zugegen. Dann eröffnen sich die Dimensionen, mit jeder deiner Atemzüge sich ihrer eigenen Lebendigkeit auf ein Neues bewusst werdend, scheint es. Dann rückt ein Schulterblatt nach vorne, knickt eine Lende ein, öffnet sich eine Flanke und bietet Haut voran unendliche Weiten zum Touchdown an. Who am I to resist, fragt sich mein längst lustvollst verführtes Hirn meist erst wenn meine Hand längst auf Landgang, von meinem Blick pavlovesk begleitet.

Gelage

Welchen Wellen bleibst du unter Wasser treu?

© _A5A2207hf_StuckiHuzel

Wenn der Mond sein Bad nimmt
rufst du deine Schwester in den Chor
der Wellen und Weisen
der Strandhochwohlgeborenen & Sternstundenverkünderinnen

Welche Wesen hat der Mond an Land gezogen?
Wievielen Nächten liegst du im Ohr?

Wieviele Hoffnungen hat dein Meer sterben sehen?
Welche Geburten übten den Abgang in deinem Schoß?

Wessen Geburten durften sich im Nass vollziehen?
Welchen deiner Klagen leihte der Ozean sein Ohr?

Rund um den salzigen Hall des Meeres
hast du ein Schweigen angerichtet, dazwischen Atemzüge;
Einen für jede Frau an Land

Wieviele Leiber hat dein Strand baden gehen sehen?
Welche Wasser wuschen deine Lieder?

Welchen Wellen bleibst du unter Wasser treu?
Wieviele deiner Ängste schwimmen oben?

Welchen Welten gibst du deine Stimme?
Welchen Visionen verhilfst du an Land?

©_A5A8209hf_Stucki
In welchem deiner Träume ging das Heute
zugunsten unseres Morgen
unter?
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IMMERSION | Oper goes Schwimmbad!
Dieser Text entstand anlässlich einer Inszenierung der Detuschen Oper im Stadtbad Charlottenburg: IMMERSION lädt dazu ein, in eine gemeinschaftliche rituelle Erfahrung buchstäblich einzutauchen, denn der Großteil des Publikums befindet sich mit den Künstler*innen im Wasser. Als Fortsetzung der erfolgreichen „Hinterhalt“-Reihe reflektiert der Abend in einer Mischung aus Operngesang, zeitgenössischer Artistik, Realtime Visuals und Techno die Themen der ersten drei Neuproduktionen der Deutschen Oper aus feministischer Perspektive: Während des Abends werden die Hexen und Geisterwesen aus LA FIAMMA, MACBETH und DIE FRAU OHNE SCHATTEN beschworen. Die Zuschauende sind größtenteils zugleich Mitschwimmende, Teil des Speaktakels und eingeladen, gemeinsam über Visionen einer möglichen zukünftigen Welt nachzudenken.