In Zeiten von cremigen Kürbissuppen und heißen Maroni denkst Du an Wadenwickel und Hungerkrankheiten. Dir sei wirklich nicht mehr zu helfen sagen sie – Du lächelst milde.
Du beginnst Deine Ausführungen stets mit dem wirkungsvollen Bild ausfallender Zähne bei von Skorbut befallenen Seeleuten. Sofort erscheint mir die Santa Maria, schiffszwiebacken und salzverkrustet mit über die Reling siechenden Matrosen, abgemagert, und sonnenverbrannt, gelb im Gesicht und blutroten Zahnfleisches aus dem schwarzgefleckte Zähne tröpfeln. Dein Blick wird fiebrig und Du sprichst leise aber eindringlich beugst Dich zu mir vor.
Marasmus, flüsterst Du, heiser vor Ekel und Angst, und treibst mich damit tiefer in die Darstellung der zähen Kerle, die zu lange kein Land gesehen und länger noch keine Wurstsemmel. Ich konzentriere mich auf meinen Teelöffel, der in dem Honigglas zwischen uns auf dem Tisch steht und ziehe goldgelbe Fäden male schnell vergangene Muster in den schmierigen Brei. Noch geistesabwesend versuche ich ein Klirren des metallenen Löffels am dünnwandigen Glas zu vermeiden
Und während ich mir noch gedankenverloren viel zu viel Honig in den Tee träufel’, ziehst Du die Schlinge enger und machst mir vermittels Hungerödemen und Mangelerscheinungen aller Art die Hungersnöte der Jahrhunderte erfahrbar. Hungerdystrophie sei die Beeinträchtigung der Organe und schon schieben sich Magersüchtige neben Verhungernde, Essen wird so existenziell, so heilig, dass ich mich frage wie dekadent mein Umgang mit Wohlschmeckendem denn noch sein kann. Dein Vortrag gipfelt in der Beschreibung der Hungeracitose und ich meine plötzlich die Lösungsmittel aus allen meinen Poren strömen zu riechen.
Gegensteuern kann ich da nur mit liebevollen Fütterungsversuchen. Ich weiß wohl, sie werden Dir den Hunger nicht nehmen können. Sie werden Dich nicht sättigen, aber sie werden deinen Magen beruhigen, die Krämpfe lindern und dein Hirn dieser Zwangsgedanken befreien. Sie werden Erleichterung schaffen. Und so hebe ich den Löffel, noch teewarm in Honig getunkt, nippe selbst daran, meine Augen fest in Deinen verankert, bevor ich ihn an deine Lippen führe, Nahrung und Wärme gewährend.
Geliebte
Bund für’s Leben
– Ist es was Festes?
Ja, sagt sie, sehr fest, ich bin umgezogen. Ich lebe jetzt zusammen mit ihm und für ihn. Ich habe mich entschieden. Mein Ja steht fest, ich will und werde mein Leben mit ihm verbringen.
Sie sagt es ein wenig trotzig, als erwarte sie, ich wolle ihn ihr ausreden.
Sie zeigt mir den Ring und spricht weiter. Er gibt mir Halt. Ich zweifle nicht mehr an allem und viele Frage stelle ich mir nicht einmal mehr.
Aber andere Fragen doch, will ich wissen. Ja, sagt sie, aber das ist etwas anderes. Es fühlt sich anders an, es sind keine Fragen, die mich verzweifeln lassen.
Macht er dich glücklich, frage ich?
Ja, sagt sie und wir schweigen einen Moment. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin voller Fragen, die ich nicht formulieren kann und mich auch nicht traue zu stellen.
– Aber was ist aus deinen Plänen, deinen Wünschen? Studierst du weiter?
Ja, ich studiere ganz normal weiter. Ich jobbe auch noch. Aber sonst habe ich meine Pläne nach ihm ausgerichtet, er gibt mir die Ziele vor. Er leitet mich. Ich habe plötzlich einen Weg, den ich gehen will. Ich kann einfach gehen, ohne an jeder Kreuzung entscheiden zu müssen. Verstehst du?
Ja, schon, sage ich, aber das Geld, das du verdienst, behältst du das für dich?
Nein, das gebe ich natürlich ab, sagt sie. Ich kriege ein Taschengeld für meinen persönlichen Bedarf. Wenn ich tagsüber unterwegs bin sowieso.
Hm, sage ich.
– Und was ist mit Freunden, abends ausgehen, tanzen und feiern?
Nein, antwortet sie mir, das geht nicht mehr so ohne weiteres. Du kannst mich auch nicht mehr anrufen, ich habe kein Telefon, nur in Notfällen natürlich. Und ausgehen, ausgehen, nein das geht nicht. Will ich aber auch gar nicht mehr. Alkohol auch nicht. Dafür hab ich anderes. Und ich bin nicht mehr allein, also brauche ich meine Freunde auch weniger. Der Kontakt verändert sich. So wie bei uns. Wir sehen uns seltener.
Ja, denke ich. Schweige aber und suche nach einem neuen Ansatz.
Aber ist das auf Dauer nicht eher nervig, hake ich dann nach, nervig, alles gemeinsam zu machen, abends, wochenends und sogar im Urlaub? Brauchst du nicht auch mal Zeit für dich? Hast du überhaupt Urlaub?
Man gewöhnt sich dran, sagt sie, immer noch so ruhig und gelassen lächelnd. Und es ist so schön, wenn immer jemand da ist. Zum reden. Zum schweigen. Da braucht es keinen Urlaub.
Und, Männer? will ich schließlich wissen.
Kein Bedarf, sagt sie. Da muss man umdenken, aber dann ist es kein Thema mehr. Meistens jedenfalls.
Ich staune immer noch. Glauben, so fest, dass man in eine christliche Gemeinschaft nicht nur eintritt, sondern einzieht, wer tut das heute noch?