Gerede

Erzähl mir was

Ali heißt nicht nur so, er ist es auch: alí, dort nämlich, nie hier.

Ali weiß, wie man in seinem Heimatdorf Brot backt und auf welchen Hügel sich die Verliebten zurückziehen, er weiß, wer Salomé ist und auch die Geschichte des Osmanischen Reiches ist ihm alles andere als fremd. Er kann Dir mehr als 2002 Geschichten erzählen und alle mit einem sehnsüchtigen Lächeln versehen, als erzählte er nicht aus Märchenwelten sondern nur aus etwas weiter weg gelegenen Landstrichen, wo die Sonne zwei Stunden früher auf und zwei Stunden später untergeht. Solange die Sonne auch hier scheint, lächeln Alis Lippen auch, nur wenn sich Wolkenberge auftürmen hinten, am Waldrand, dann wird Ali nervös.

An Regentagen greift er unzählige Male in seinen stets griffbereit liegenden Tabakbeutel und fragt auch Unbekannte nach einer Partie Schach. Die Bierflasche steht dann näher und die Mundwinkel bleiben starr waagerecht. An Regentagen mag Ali keine Schokolade, erinnert sich nur schwer an seine Helden und verrechnet sich häufig. Als Stammgast weiß man das und trinkt Tee aus dünnwandigen Gläsern, bis der Gang zur Toilette viertelstündliches Ritual wird.

Am schönsten sind die Sonnenaufgänge mit Ali, wenn sich die Geschichten sichtbar in seinem Körper breit machen, ihn geradezu fluten und mit jedem Grad, das die Sonne am Horizont höher wandert, Satz für Satz über seine Lippen flunkern, hell und klar, wie frisch erfunden.

Dann kichert die Kaffeemaschine im Hintergrund vor Vergnügen und Ali zeigt seine goldweißen Zähne ohne Zigaretten bereit zu halten.

Verlassen sollte man Ali, so schwer es auch fällt, unbedingt vor Sonnenuntergang, so bleibt einem sein strahlendes Lächeln als Erinnerung für den Abend und nicht seine düsterumwölkten Augen, die mit der Dämmerung aus ihren Höhlen quellen und dichte Schatten über seine graustoppeligen Wangen werfen.

Gerede

Beilagen

Manchmal lache ich an unpassendsterer Stelle und zwar laut. Im Kino zum Beispiel, im Theater, auch bei Gesprächen. Und dann ging ich gerne baden, nicht etwa sprichwörtlich, nein wortsinnlich. Tief ins Meer am liebsten, alternativ aber auch in einen See. Einen Fluß. Pragmatisch meist einfach unter die Dusche. Und da singe ich dann melodramatische Arien oder hysterische Schmonzetten, auf das die Kacheln klirren, der Abfluss bebt und sich der Duschvorhang bauscht. Im schlimmsten Falle, ist nicht einmal eine Dusche in der Nähe, nicht einmal eine blöde braunes-kaltes-Wasser-aus-rostigen-Öffnungen-tröpfeln-lassende Dusche. So wie letztens als ich mit M. in der Cocktailbar saß, wir stundenlang über der Karte gebrütet hatten, die wie im China-Restaurant alle Gerichte, gleichgültig ob Speise oder Getränk, mit Nummern versehen hatte und ich mich ewig nicht zwischen Nr. 332 und 421 entscheiden konnte. M. hingegen hatte von Anbeginn an zielsicher die Nr. 334 anvisiert. Als unsere Bestellung dann aufgenommen werden wollte, versenkte ich mich tief in die Karte um eventuell ja doch noch ein schlagendes Argument für die Pattsituation zwischen 332 und 421 zu entdecken, während M. seine 334 in Auftrag gab.
„Mit Pommes?“

Da lachte es aus mir heraus, noch ehe ich die Situation entschlüsselt, noch ehe ich auch nur M.’s erstauntes Gesicht wahrgenommen hatte, noch ehe überhaupt von begreifendem Verstand die Rede sein konnte. Ich lachte allein, auch die nächsten 2 Minuten. Als ich mich längst schämte zu lachen und doch nicht aufhören konnte. Als ich mir eine Dusche wünschte. Oder auch nur einen Duschvorhang.
Später saßen wir dann Reste aus unseren Gläsern durch Strohalme schlürfend in dieser Bar, in der außer uns längst niemand mehr saß, und ich lachte längst nicht mehr. Nur die Scham, die war noch da.

Da hob M. den Blick und rezitierte in die entstandene Stille hinein ein Gedicht, das mich spürbar versöhnte mit meinem Lachen, auch wenn die Scham vorerst blieb:

Dein Lachen

Nimm mir das Brot weg, wenn du
es willst, nimm mir die Luft weg,
aber laß mir dein Lachen.

(Pablo Neruda, aus: In deinen Träumen reist dein Herz)