Gerede

Hiobs Tage

Modernd die neue Bleibe, auf dass die Haarspitzen schimmeln. Die Lumen sind knapp bemessen, das müffelnde Luftimitat aus zweiter Lunge lässt mich jeden Morgen spontan auf Kiemenatmung umstellen, nur mit Hutnadeln war der Vermieter unerwartet großzügig. Sie sorgen für den Ausschlag des PH-Wertes und bereiten den Boden für Hiobs Fersen. Sie füllen jeden Zwischenraum und verhindern das Schließen der Tür im Vorüberfallen, sie prägen sich filigranst in jede meiner Poren, die sie vorm Eindringen zärtlich beim Namen rufen.

Seine Landung ein perfekter Telemark, sein Lächeln reine Nächstenliebe, seine Handinnenflächen bergen die Gabenmeere. Dekadenz gilt als Sünde, doch er fürchtet seinen Gott nicht, er schwelgt in Botschaften, die ihm gleich Bratenfett schon zwischen den Fingern hervorrinnen, noch ehe wir auch nur ein Salzkorn ausgetauscht hätten. Und dann, dann schwemmen sie schwungvoll das Lächeln hinweg, meines, Zuversicht hinfort, nehmen die Lust und das Lachen, und den Boden, auch den doppelten, versiegeln die Sprache.

Hiob behält sein Lächeln auch beim Abflug, jetzt allerdings in der unverbindlichen Variante, wenn er seine triefenden Finger achtlos durch die Hutnadelhäufchen spazieren lässt. Sein Wort ist angekommen, das kann er bezeugen, trotzdem gibt er mir die Visitenkarte seines Kollegen, für etwaige Zweifel, wie er süffisant anmerkt. Im Winken lässt er die letzten Botschaften flattern, beidseitig so eng dass schier unleserlich beschriebene pastellfarbene Esspapierchen mit dem Stempel des Unnachgiebigen. Entzifferung nur auf Kosten der Magenwand, rauschen seine vorletzten Worte durchs Gegenlicht.

Gerede

Kassel mal wieder im Koma?!

Frank war mir von der ersten Minute an unsympathisch. Das lag einerseits an der Musik, die er hörte und die ich mangels Kenntnis als Experimental-Punk bezeichnen möchte, nach dem Motto “Hauptsache Lärm“, andererseits an seiner Freundin mit schwäbischem Akzent. Trotzdem lernte ich nach und nach seine anderen Freunde kennen, seine Sprache, sein Denken, seine Macken und seinen Kiez samt Bewohnern. Ratzo, den grauhaarigen Auf-Parkbänken-Sitzer-und-Biertrinker, mochte ich gleich, der hatte so was Verschmitztes. Rosi hingegen nervte mich, ohne dass ich gewusst hätte warum, ebenso wie Harry mit seiner ewigen Biobutter. Und natürlich Karla. Karla mit den schönen Augen. Karla, die ständig in Ohnmacht fiel und am liebsten Lambrusco trinkt. Karla stellte er mir als Letzte vor, irgendwie schämte er sich für sie, glaube ich, für ihre schrägen Klamotten, für ihre fleischigen Schenkel, für ihre Kasseler Herkunft. Für ihre Verletzlichkeit. Dabei war Karla es, die mich Frank letztlich doch noch mögen ließ.

Franks abfällige Sprüche taten mir manchmal weh, aber meist musste ich eher lachen. Dieser Große-Jungen-Charme hatte wohl auch bei seiner Ex gezogen, anders kann ich mir nicht vorstellen, wie die beiden zusammen kamen, sie als Jurastudentin, er als Am-liebsten-immer-noch-Punk. Irgendwann hat sie ihn rausgeschmissen, da kannte ich ihn Gott sei Dank noch nicht lange genug, als dass er mich um einen Platz zum pennen hätte fragen können. So fragte er halb Friedrichshain, bis der Akku seines Handys aufgab, er kannte sie alle.
Was ich an ihm mochte war seine Sorglosigkeit, seine Dreistigkeit im Umgang mit dem Leben und eben Karla. Herzlutschend.