Es gibt Menschen, die kommen zur falschen Zeit am falschen Ort zur Welt und also tut die Welt so ziemlich alles um sie wieder verschwinden zu machen. Sie hat dazu ein breites Repertoire zur Verfügung, physische und psychische Maßnahmen wären zu nennen, neben individuell angestimmten Schicksalsschlägen, im Notfall greift sie auf umfassende Epidemien und Atomstörfälle zurück.
Im hier erzählten Falle schien das alles viel zu groß. Man versuchte es mit Elternsterben und unfreundlichem Ersatz, sowie zu groß geratenen Dosen an Hunger und Durst. Zum Töten zu wenig, zum Leben zu viel. Das Individuum überlebte merkbar angeschlagen.
Das Leben murrte und zeigte sich weiter möglichst uncharmant und rau, doch das Individuum rebellierte nicht ewig, passte sich nach und nach an, zog sich zurück und skizzierte sich ein Universum jenseits dieser Welt. Das kränkte diese, war das neu Erschaffene keinesfalls als B-Movie zu bezeichnen, sondern seinerseits kraftvoll bunt und lebendig. Und es wuchs. Es entstanden neben Skizzen Melodien, Farben und Formen in überwältigender Vielheit, ineinander verwoben, so dicht, dass ein Boden möglich wurde.
Die Welt, aber, ist keine gnädige, die sich das Zepter aus der Hand nehmen lässt. Ob Knecht, ob Künstler, ob Trotzkopf oder Mitläufer, sie behielt ihren Trumpf in der Hand und spielte ihn süffisant lächelnd zu gegebener Zeit aus: Magenkrebs. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ein Universum nicht so einfach zu vernichten ist, das Individuum mochte dahinsiechen, Adolf Wölflis Welt bleibt uns als Wunder erhalten.
Gestern
Hemmungen
Drei war ich, höchstens fünf und meine Mutter mal wieder hatte keine Zeit. Also brachte er mich zum Kindergarten, das kam schon mal vor. Er hatte ein grünblaues Fahrrad und ich durfte auf die Stange sitzen, im Damensitz. Entweder waren wir wirklich spät dran oder es kümmerte ihn einfach nicht, jedenfalls überfuhren wir bewusst eine rote Ampel, ich weiß heute noch welche und wie es sich angefühlt hat weiß ich auch noch. Die kurze Enttaktung des Herzrhythmus, die zwei Nuancen, die das Rot meiner Wangen röter wurde und das innerliche Jauchzen, als wir über die Bordsteinkante rumpelten. Ich fühlte mich Jahre älter.
Viele seiner Platten starben unter meinen Händen, zu reizvoll die Nadel und zu sensibel das Vinyl. Mir dagegen fehlte jedes Feingefühl, ich zerkratze Stones und Cleerwater, Hoffmann und Scherben. Eingeprägt hat sich mir dafür der Watzmann, den er oft nachts zum Einschlafen hörte, unverständlich für mich, die ich vor lauter Gruseln das Kopfkissen aufs Ohr drücken musste. Zugegeben hätte ich das selbstverständlich nie, zu aufregend war es, in sein Bett kriechen zu dürfen und in Erwachsenen-Bettwäsche zu kuscheln. Und erst recht am morgen vom Qualm seiner ersten Gauloise geweckt zu werden. Eklig und faszinierend zugleich.
Gut zehn Jahre später war er der erste Mensch und erst recht der erste Mann, der mich auf dem Klo sitzend überraschte, weil ich vergessen hatte die Tür abzuschließen. Es war furchtbar peinlich, ich erinnere mich dunkel und ich konnte ihm einen halben Tag nicht mehr ins Gesicht sehen. Ich aß sogar das weichgekochte Ei, das er mir zum Frühstück gekocht hatte, obwohl ich nur wenig ekliger als das Geglibber finde. Nur damit ich nicht mit ihm reden musste.
Als ich vor wenigen Jahren 20 Kg schwerer und 30 Pickel reicher vor seiner Tür stand, erkannte er mich ohne Zögern wieder. Sein Lächeln war breit wie eh und je und sein Vorname mir immer noch ein Rätsel. Er kochte mir Nudeln mit Soße, unser damaliges Donnerstagsgericht und rauchte zwischen den Geschichten Kette. Sein Haar war grauer, sein Gesicht runder, seine Umarmung nicht schwächer.
Und heute hab ich blöde Nuss mich nicht getraut bei ihm zu klingeln.