Gestik

Scharade

Nelkenbärte in Purpur und Violett. Grünwandiges baucht sich in doppelter Ausführung nurmehr halbgefüllt, der Abend geht sichtbar zur Neige. Der Süße des Nachtischs geschuldete Pausen häufen sich, das Wortfleisch verbleibt allzu oft nun im Anschlag. Da lohnt ein Spreizen der Wadenmuskulatur, ein Lüften der Haarwurzeln, Rumpfbeugen. Dann erst wieder das O in Nasalposition gebracht – man erinnere das Altprovenzalische – und die Hasenscharte frisch gewetzt: Sprache filettieren als Wettkampfsport.

Der Flaum deiner Achsel hatte sich chlornass und pomadenschwarz die Kachelwände emporgerankt. Hatte die Symmetrie deiner Schulterblätter aus dem Gleichgewicht gebracht und deine Silhouette um den entscheidenden Flaum bereichert. Hatte den anthrazitfarbenen Füllfederhalter zwischen deinen die Anspannung verratenden blass werdenden Fingerknöcheln in den Schatten gestellt. Hatte mir die Italiensehnsucht eingepflanzt, so nachdrücklich, dass mein zuvor eher allgemein gehaltenes Fernweh keine Chance mehr hatte.

Seitdem und so auch heute trage ich Hut und du eine Zigarettenspitze zwischen den Fingern. Ich flechte meine Wimpern zwischen Flachmänner und verberge das Lächeln tunlichst, das sich bei bewölktem Himmel doch immer wieder unter der Krempe hervorwagt. Pflanze Rabattmarken, gräberweise, und bereits nur jedes Schaltjahr eine dezent gemusterte Krawatte. Wo im Restlichverstärker nun mir leere Poren leuchten, dein ganzer Oberkörper weit und obendrauf ein hilfloses Lächeln gepappt.

Gestik

Mannbarkeit und Sehnsucht

Mein Knie hat Heimweh, sagt es, und ich tätschele es heimlich beim Gehen. Wird schon wieder, flüster’ ich mir unter den Rock. Nur noch ein Stückchen geradeaus, über die Ampel und dann noch die Treppen hoch. Ich verschweige, dass dieser der längste Teil der Reise werden wird. Aber schon auf dem Hinweg hatte das Knie genölt, wollte gar nicht erst losgehen. Und als wir endlich angekommen waren, fing das an mit dem Heimweh. An der Ampel auf Grün wartend, knirrscht das Knie ein “Wie lange noch?“ und ich bin für einen Moment versucht “Wenn Du jetzt brav bist, gibt’s nachher ein Eis“ zu antworten. Beherrsche mich aber.

Stattdessen verbünde ich mich mit der rechten Wade. Die ist das heimwehkranke, wehleidige Knie schon lange überdrüssig, bewahrt aber Contenance. Rückwärts anmutig gewölbt, bietet sie jedem Angreifer, der sich ihr von vorn zu nähern wagt, die Stirn. Das Knie im Nacken, geht sie aufrecht, ohne steif, greift aus, ohne forsch zu wirken. Sie weiß sogar um meine heimliche Verehrung, und hat auch jetzt tröstende Worte für mich. Es ginge vorbei, das Fremdeln des Knies sei nichts als eine Phase, typisch für Adoleszenten. Bald schon wäre es wieder nicht zu bändigen wenn es darum ginge, neue Wege zu beschreiten, ich brauche mich nicht zu sorgen.

Ich sorge mich auch nur bedingt, ich bin vielmehr genervt. Habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich Ziele fern der Heimat ansteuere, und vor allem wenn ich an ihrem Erreichen festhalte. Ich habe nur bedingt Verständnis für das Leiden meine Knies, trotzdem tut es mir weh. Ich würde gerne helfen, aber nicht indem ich mein Fernweh zügelte. Schlussendlich wird es wohl auf einen Kompromiss hinauslaufen und wir werden das Leid möglichst gerecht verteilen. Oder einer von uns wird ganz schnell erwachsen, aber das sehe ich so gar nicht.
Im Gegenteil, da wartet noch eine ganze Menge pubertärer Trotz.