Geliebte

F10 mit Sturmfrisur

Sturmfrisur | © Anne Seubert

Jünger sähe ich aus, besser, weniger Falten auch, aber ob ich zu Mittag gegessen hätte? Ihr kann ich nichts vormachen, sie weiß oft besser als ich, wie es mir geht und so bin ich leicht angespannt angereist, sitze nun erleichtert vor ihr und gestehe das ausgelassene Mittagsmahl. Sie wird mir Kichererbsen mitgeben, die sie Kirscherbsen nennt, was eigentlich viel schöner zu den von ihr schonend gegarten – mit wenig Wasser, ohne Salz, und dann dreimal aufkochen, bis alles Wasser verkocht – ockerfarbenen Kügelchen passt.

Kichererbsen erinnern mich an den Abend mit K. einige Wochen zuvor, an dem sie uns die Geschichte von der sehr alten, weisen Frau vorgelesen hatte, die Abend für Abend ihre Glücksbohnen in der Hosentasche zählte und sich dazu die Geschichten vor Augen holte. Dazu hatte K. uns getrocknete Kichererbsen aus einer Schale greifen lassen, um uns an den kommenden Tagen die Hosentaschen mit glücklichen Erinnerungen füllen zu können. Während andere eine ganze Handvoll griffen, hatte ich nur 2 einzelne genommen, erinnere ich mich, dabei sind meine Tage stets so voller Glücksmomente.

Einer davon warst du, Schilf-Sturm-Frisur, die du mich wieder und wieder ans Ufer gelockt hattest, zu allen Tag- und Nachtzeiten, mir das Nass gereicht hattest und doch nie den Kopf über Wasser, das nicht. Allen Redewendungen zum Trotz bliebst du bis zum Pony darunter, als ob das ginge, jedenfalls unter Wasser, nur dein Schilf-Haar, dieses ungebändigte, wunderschöne Silhouetten in den Himmel zeichnende, das liest du mir Warnung und wollüstige Lockung zugleich. Morgens zog es mich zu dir, ich kniete fast, wagte kaum zu atmen, blickte und sah nichts, bis ich die Augen schloß und dir zuhörte, wie du mit dem Wind flüstertest, wie du ein- und ausatmest, wie du still bist und alle Gottheiten um dich scharst, wie du wagst und wogst und murmelst und mit den Wellen Haschmich zu spielen scheinst.

Asien-Berlin | © Anne Seubert

Die Sonne machte sich rar dieser Tage, aber wenn, ich sage dir wenn, zogen die Fischer auf, dem Ton in ihre Strahlen zu folgen und dann stellte sich dieser Klang ein, der nicht von dieser Welt, der nur auf dieser Welt, der eins mit den Wellen und dem Licht und nur hier und jetzt hörbar und eigentlich gar nicht, aber eben doch, wenn du still und ich leise und dann hielten die Wellen den Atem an, ich blinzelte möglichst nie wieder, der Ton aber machte sich breit und nicht Halt vor Körpern, im Gegenteil, er schien sich ihrer geradezu anzunehmen, sie zu befrieden und beleben gleichermaßen, mich da sein zu lassen, wo ich eben gerade war, zum Beispiel, auch wenn das alles andere als und vielmehr dort, als vor Ort, ich meine, wer ist schon Ort, wenn du Dimension sein kannst?

Atmen. Atmen sagen sie, atmen und den Gliedmaßen ihren Lauf lassen. Ich versprach trotzdem wiederzukommen und trat an,  ehe sich mein Fluchtversuch rumgesprochen hatte, noch vor dem Einzug der Dämmerung, stand Schmiere dann wenn die Stille übernommen und allerlei Flügeln den Wind aus den Segeln genommen hatte. Atmen sagen sie, ich aber sang. Sang den Klang in einen Schlaf zwischen den Saiten, dem Kontra auf den Leib geschneiderte Basssoli in Largo dem Lago ein Lied, das sich eher summt denn singt, das alles Weinen trocken legt und dich in einen Arm nimmt, der alle Wege obsolet erscheinen lässt. Halt, in fünfter Dimension die erste, die dich an jedem Ufer findet und an Bord nimmt.