Gemäuer

Grün auf Bestellung

Vom Begrünen ist dieser Tage viel die Rede, unsere Städte, unsere Gebäude, unsere Seelen. Dieses legendäre Grün, Farbe der Hoffnung, dieser Farbton, der uns nährt und erdet, beseelt und Teil eines Großen sein lässt: der Natur, der wir uns gleichzeitig zu entziehen und der wir Einhalt zu gebieten suchen, wann immer sich die Gelegenheit zur Zivilisation bietet: Asphalt, Beton, Gartenzaun – Wertekonflikt? Aber hallo!

Welcher Teil der Natur bist du?

Wir, die wir als Menschen Teil sind dessen, was wir als Natur ab- und einzugrenzen gelernt haben, und der wir die Farbe Grün zu geordnet haben, als Farbe des Waldes und der Wiese, des Blatt- und Nadelwerks und der Stengel, mitunter auch in Kombination mit dem Blau des Wassers. Wohlwissend, dass wir zugleich Teil davon sind, dass Natur bei Weitem nicht auf eine Farbe festzulegen ist, dass der größte Teil von uns selbst aus eben dieser Natur besteht, dass, wer gegen seine Natur handelt, sich meist keinen Gefallen tut. Beim Wasser wird vielleicht am deutlichsten: Wir sind das Nass, mit dem wir uns gern umgeben, an dessen Ufern wir uns  entspannen, auf das wir unsern Blick gern betten und in das wir unsern Leib versenken zur Reinigung, Entspannung und zuweilen sogar Heilung.

Und doch ist es uns wichtig, uns auf eine Seite und der Natur gegenüber zu stellen, wir möchten von unserem Recht und unserer Fähigkeit als denkende und bewußte Wesen Gebrauch machen, uns zu positionieren. Heuer ist es en vogue, sich auf die Seite der Natur zu stellen, uns gemein zu machen, die Natur zu schätzen, aus unserer Geschichte aber kennen wir auch Beispiele, als es darum ging,  sich deutlich abseits zu stellen: Hier die Natur, da menschen-gemachtes wie Stadt versus Land, Kunst versus Natur, Trieb versus Anstand, Wildes versus Gezähmtes, und nicht zuletzt diese unsere Kultur als etwas Einzigartiges herauszustellen. Hier unser Willen, den wir schon eher außerhalb der Natur ansiedeln, so von wegen Bewusstsein, “da” alles, was treibt und blüht, uns vom rechten Weg abzubringen versucht, hier all das, was innehält und urteilt auch. Wie nur kommen wir dazu, diese Linie zu ziehen und uns ihr immer wieder wider besseres Wissen gegenseitig zu versichern? Als wäre nicht längst deutlich, dass dies keine und schon gar keine durchgezogene Linie, als wüssten wir tatsächlich, wo sie verläuft, und als täte es uns  gut, sie zu ziehen.

Unsere Angst vor der Natur und unser Bedürfnis nach ihr

Unser Verhältnis zu der uns umgebenden Natur war schon immer mehrfach ungesättigt: Wir hängen von ihr ab, in Form von der Luft zum Atmen, dem Wasser zum Trinken, der Energie, die uns Sonne und Wind zur Verfügung stellen, den Nahrungsmitteln, die wir aus ihr ziehen und erbeuten, und den Heilmitteln, die wir in ihr finden. Gleichzeitig hat sie die Kraft, uns mit einem Unwetter schachmatt zu setzen, mit einer Dürre auszutrocknen, mit einer Virenlast in die Knie zu zwingen, mit giftigen Pflanzenteilen oder hungrigen Tieren zu töten. Zeitlebens suchen wir sie auf, um uns mit einem Blick aufs Wasser zu beruhigen, mit Feuer zu wärmen, im Schatten von Bäumen auszuruhen. Wir lieben es, uns mit ihr zu messen, so klettern wir auf Bäume, lernen uns durch Bewegung über Wasser zu halten, oder unter Wasser für Momente das Atmen zu unterbinden, wir kräftigen unsere Schenkel in langen Läufen und dehnen unsere Ausdauer und unser Vertrauen in uns beim Erklimmen von zunächst unerklimmbar erscheinenden Bergwipfeln.

Wir bemühen uns, Gesetzmäßigkeiten abzuleiten und die Natur zu systematisieren, zu kategorisieren, um sie zu verstehen und unser Verhalten anzupassen, (ein) fit zu werden. Gleichzeitig testen wir unser Vermögen, sie uns anzupassen, sie einzugrenzen, ihre vermeintliche Macht einzudämmen. Wir  entdecken Schönheit und Anmut in Landschaft, in Pflanzen und Tieren, die wir in Texten und Bilder  zu beschreiben suchen, wir singen ihr Lieder, dichten ihr Oden und bleiben doch oft im Staunen gefangen, in Ohnmacht, in Überwältigung. Die Natur entzieht sich uns immer wieder und taucht an anderer Stelle auf, in einer Sehnsucht nach Waldboden statt Pflasterstein, konvex gewölbten Hügelketten statt rechter Winkel, Wolkenfetzen statt gleichmäßigem Blau. Was wir allein nicht bewerkstelligen können, etwa den Tiger zu erlegen, das standfeste Haus zu bauen, erledigen wir im Team. Gemeinsam fühlen wir uns stark, machen wir uns stärker als jeder von uns allein sein könnte, ergänzen wir uns in Fähigkeiten und Größen.

Teil der Natur, der über der Natur zu stehen kam

Unsere Sehnsucht, uns die Natur untertan zu machen, hat uns weit gebracht, weiter als wir je zu kommen dachten, weiter, als wir kommen wollten, weiter auch, als wir kommen sollten vielleicht. Wir, die wir die Natur mit unseren Sinnen immer und immer wieder vermessen, tun uns weiterhin schwer damit, uns selbst einzuordnen, Sind wir besser als die Natur und damit wertvoller, mächtiger, mit mehr Rechten und auch mehr Verantwortung ausgestattet? Oder sind wir im Gegenteil nur ein Teilchen im großen Ganzen, das wir mitnichten überblicken? Wo fängt dieses große Ganze an, wo endet es? Gibt es einen von diesen Plänen, die wir so lieben, oder müssen wir anerkennen, dass unsere Pläne nur für uns, wenn überhaupt, von Relevanz? Gibt es einen Anfang und ein Ende in der Natur und welche Aufgabe kommt uns dazwischen zu? Überleben wir die Natur oder gar die Natur am Ende uns?

Wie ist es uns möglich, uns als Teil der Natur zu denken, ohne uns in Kategorien und Hierarchien einzuordnen, wenn doch wir es sind, die auch die Natur qua Begriffsdefinition und Benennung bereits zu einer Kategorie und qua benennender Instanz eine definierende Rolle innezuhaben, die über das Teilsein hinausgeht? Wie weit tragen uns unsere philosophischen und biologischen Konzepte auf diesem Weg? Und was wären Alternativen? Wohin sortieren wir in diesem Zusammenhang die Teilbereiche der Natur, die von uns noch im zivilisiertesten Zusammenhang angelegt werden: Unsere Parks und Gärten, unsere Blumentöpfe und Haustiere, unsere Gartenteiche und Stadtwälder?

Grün auf Kommando: Parks & Gärten

Gärten und Parks sind gestaltete Grünräume. Wir Menschen genießen sie bei Spaziergängen, Spiel, Sport und Kontemplation, wir entwerfen, besitzen, hegen und pflegen sie, wir gärtnern und gestalten, pflanzen  und pflücken in ihnen. Die repräsentative Gartenkunst ist Teil aller unserer bekannten Kulturen, ob im arabischen oder asiatischen Raum, im skandinavischen oder mediterranen, im britischen oder französischen Teil Europas.  Ende des 19. Jahrhunderts hat sie sich zur Landschaftsarchitektur weiterentwickelt und prägt bis heute unsere urbanen, schönerweise meist öffentlichen Räume: feudale Anlagen und erste großzügige Parks, Tiergärten und botanische Lehr-Gärten inklusive Akademien und Gewächshäuser inklusive.

In einer großen Sonderausstellung „Von Gärten und Menschen“ führt die Österreichische Nationalbibliothek noch bis zum 5. November 2023 durch diese Geschichte und zeigt Gartenpläne, Druckgrafiken, Originalzeichnungen, Publikationen, Fotografien und Ansichtskarten. Der geografische Schwerpunkt der ausgestellten Objekte liegt in Wien, ergänzt um ausgewählte andere europäische Beispiele – das kann erst der Anfang sein, möchte man ausrufen!

Am Anfang war das Grün

Am Anfang war das Grün – und am Ende wartet das Grün, könnte man mit Blick auf unsere Friedhofskultur ergänzen. Am Ende ziehen wir wieder ein in den Garten, legen unsere Gebeine unter die Bäume und werden zum Stoff, aus dem die nächste Generation Grün erwachsen wird. Ist sie so einfach wie unausweichlich, diese unsere Beziehung mit der Natur? Sie, die uns gewähren lässt, uns abwenden und über sie erheben, um uns am Ende wieder in ihrem Schoß willkommen zu heißen?  Wird man vielleicht viel weniger als anderer Mensch oder Tier wiedergeboren, sondern viel eher als Blaubeere oder Blutbuche, Sommer-Ahorn oder Ackerschachtelhalm?