Gedanken

Im Augenblick

Nein, unsere Liebe wird keine leidenschaftliche mehr. Ich werde mich in Deinen Abwesenheiten keinesfalls nach Dir verzehren und in Deinen Anwesenheiten ebenso wenig hingebungsvoll auf die Knie sinken. Womöglich noch dankbar. Meine Lippen wird auch lächelnd stets ein wenn und/oder aber zieren. Wir werden keine rauschenden Feste feiern, ich habe gerade erst gelernt, Dich zuweilen von Ferne zu umarmen. Ich überzeuge mich weiterhin, ohne Dich sein zu können, nachmittags, und suche ich Dich wieder und wieder in meinen Träumen, frühmorgens, so gegen 04:30. Zu nahe kommen wir uns nie und doch bleibst Du mir eigensinnig treu.

Unbedankt aber immerhin nicht unerwidert. Auch von meiner Seite keinerlei Betrug, noch nicht einmal Lügen. Nur werde ich unser Ende weiterhin herbeisehnen, öffentlich und charmelos larmoyant. Statt Dir schmachtende Oden zu widmen, bei Deinen Berührungen vor Wollust zu stöhnen, meinen Schritt ob Deines Anblicks zu beschleunigen. Ich werde Dir zu Ehren nie nicht früher aufstehen, keine Blumengebinde in Auftrag geben, meine Zehen nicht in zu kleine Schuhe quetschen. Es wird keine Sehnsucht geben, meinerseits. Kein Planen einer gemeinsame Zukunft, keine Hoffnung auf bessere Zeiten, keinen Streit, keine Jubiläen. Ich weigere mich, die Vergangenheit zu verzeihen.

Einstweilen versuche ich ernsthaft, mich wohl zu fühlen mit Dir, mich einzulassen auf Dich und Deine Bedürfnisse. Ich gebe mir Mühe, meine Bedürfnisse zu artikulieren und bin Dir schon eine ganze Weile nicht mehr übel gesonnen. Immerhin. Vermissen werde ich Dich nicht, bevor Du mich verlassen hast. Wenn ich Dir nicht schon vorher entkomme, denn das werde ich wohl immer wieder in Angriff nehmen: vor der Zeit, die Du für uns angesetzt hattest. Das mag, wer möchte, als verrückt, dumm, schade, albern, feige oder gar als konsequent bezeichnen. Noch aber ist es nicht soweit, noch weine ich, erkläre ich mich, antworte ich Dir. Solltest Du eines Tages doch einmal fragen.

Gedanken

Scherenschnitt

Sonnenstrahlverhangenen Wintermantels wagte er sich montags auf die Straße, die Stadtreinigung zeigte vollen Einsatz beim Versuch die Gullydeckel zu reanimieren. Er ließ ihren Elan nicht allzu nahe an sich heran, ging bewusst langsam, das linke Bein nachziehend. Die quietschenden Vögel rechts und links in den Kronen der Platanen ignorierte er ganz, er hielt den Blick vielmehr wachsam auf das nächste Schlagloch gerichtet. Pflastersteine warfen sich beidseits seiner Knie ins wässrige Sandbett, seinen Tritt fürchtend, der Fuß für Fuß die Straße dem Erdboden gleich machte.

Tage wie diesen gab es seiner Meinung nach deutlich zu viele. Sie glitten ineinander, Wochen und Monate konstituierend, die er nicht willkommen heißen mochte und in denen er sich nicht willkommen fühlte. Die wenigen Nächte dazwischen, die ihm kühlende Finsternis auf die Schläfen tröpfelten, kamen immer seltener und immer öfter auch zu spät. Unzuverlässig jedenfalls, und die Tage ihrerseits nutzten die temporale Schwäche und machten sich unangebracht breit.

Er spürte das Ziehen im linken Mundwinkel, als die Nachbarstochter freundlich grüßend seinen Weg kreuzte, erst im letzten Moment bekam er seine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle. Er nickte mürrisch und blieb unbeeindruckt auf seiner Linie, zwei Fußbreit parallel zur Bordsteinkante. Die Nachbarstochter hüpfte ihrem Tag entgegen, festlich gekleidet, das Haar zu zwei Zöpfen geflochten. Er erreichte, wenig später nur, seine Arbeitsstelle, ein unscheinbares Haus im Halbschatten eines Wolkenkratzers. Wohlig schmiegte er sich in den anachronistischen Aufzug, der ihn zu seinem abgedunkelten Büro bringen würde, er war zu früh, als das ihm hätten Kollegen begegnen können.