Gemäuer

Schweben und schweben lassen | Wuppertal Revisited

Durch die Wand

Ich komm’ eigentlich nicht von hier Leute
Nicht von hier, von hier
Ich komme aus NRW, NRW
Aus einer ganz bestimmten Stadt
Wuppertal ist die Stadt, wo ich herkomm’
(…)
Denn wir haben die, ooh
Schwebebahn, die Schwebe-, Schwebebahn
Und ihr habt nur die Bahn
Ihr habt nur, nur die Bahn
Nura,  2019

 

Dieses Jahr ist vieles anders, weniges klar, manches bleibt in der Schwebe, meidet festen Boden. Gewissheiten üben sich als Raritäten. Wo also Ostern verbringen, wenn nicht in Wuppertal? Eine Runde schweben und schweben lassen. Oder auch zwei. Die Wupper, namengebend und bei näherer Betrachtung ein romantisches Flüsschen, war einst schwarz. So erzählt man sich. Sie heißt Wupper, weil sie so leichtfüßig über Stein und Gebein wippt, und war nachweislich einst der Grund, warum sich Menschen hier niederließen – und nicht wenige davon erfolg- und reich wurden. Womit? Mit Stoff! Wuppertal ist eine Textilstadt, hier wurde gewebt und gefärbt, genäht und bedruckt – und Patente für alles mögliche und Metallknopf-Verhüllungen gesammelt.

Wuppertal lieben, das haben wir gelernt, heißt, sich einlassen, auf eine Stadt, die weiß, was sie kann, die weiß, wen sie ranlässt und die das ein oder andere Kleinod birgt. Wuppertal lieben, kann also heißen…

  1. … Kunst zu lieben. Oder anders, wer ein Herz für Kunst, kann es in Wuppertal auf die ein oder andere Runde einladen. Wir gönnten uns eine Inszenierung von Pina Pausch aus dem Jahr 1975: Orpheus und Eurydike. Tanz und Gesang, Hingabe und Verdrängung, Manifest und Romantik, Orchester und Bühnenbild schlugen uns für 2,5 Stunden in ihren Bann. Den Rahmen bot das Opernhaus mit u.a. diesem Treppenhaus in den 1. (blau) und 2. Rang in Rot.

Opernhaus Wuppertal | © Anne Seubert

2. … die 80er kennen. Denn die Stadt huldigt ihnen woimmer möglich. In Ladenauslagen und Farbakzenten, in Hotelangeboten, Interiörs und Restaurants. Beim Schlendern durch Straßen und Gassen, kommt man nicht umhin die Songs der 80er im Kopf zu haben und wäre nicht verwundert, plötzlich in einem Dreh zu Flash Dance zu landen. Ich vergucke mich spontan in die Büdchen, dieser hier mit Namen Küppersbuch. (Grüße gehen raus an Friedrich!)

Büdchen | © Anne Seubert

3. Wuppertal verspricht Tal und wo Tal, da auch Berg. Ähnlich wie im Schwarzwald, hat der Flaneur hier zwei plus, ok, plus eine Premium-Möglichkeiten: Entweder entlang der Wupper oder bergauf. Oder eben über der Wupper entlang schweben. Zumindest als Besucher nicht die schlechteste Möglichkeit, um zum Beispiel nach dem Tanztheater zurück zu schweben. Und dann steigt man ein oder aus unter einem Metallbogen in einer Station, die einen an Berlin erinnert, und das nicht ungefähr, denn der Architekt Bruno Möhring, erfährt man beim digitalen Nachschlagen, ist auch am U-Bahnhof Bülowstraße maßgeblich beteiligt gewesen.

4. Söhne und Töchter der Stadt gibt es erstaunlich viele, manche mit einem Denkmal geehrt wie Friedrich Engels, oder in Straßennamen auffindbar wie Sauerbruch, viele aber auch neueren Datums wie Tom Tykwer, Christian Lindner, Alice Schwarzer, Johannes Rau, Bettina Tietjen  Ann-Kathrin Kramer, Kid37, Rita Süssmuth, Carl Duisberg, Else Lasker-Schüler, Wolf Erlbruch oder auch Christian Boros. Über letzteren stolperten wir unverhofft zunächst ungläubig in Form der Repräsentanz seiner Agentur gleichen Namens in einer ehemaligen Textilfabrik und – dann machte es plötzlich Sinn. Christian, du also auch!

5. Und dann ist da noch Tony Cragg, der sich selbst und seine Skulpturen in einem weitläufigen Garten verewigte, in dem auch Kuchen- und Magnolienliebhaberinnen auf ihre Kosten kommen: Waldfrieden. Perfekt für einen Sonntagnachmittag. Pro-Tipp: Die Führung beginnt bereits um 13:00 Uhr.

Magnolie im Skulpturenpark Waldfrieden | © Anne Seubert

6. Natürlich gibt es auch gewöhnliche Museen, wie das Von der Heydt, das aktuell mit den somnambulen Fotografien von Hans-Christian Schlink seiner eigenen licht-heischenden Gemälde-Sammlung eine erste Freundschaftsanfrage stellt. Das Museum liegt so zentral, das es gut immer wieder reinpasst und ja, auch hier leben die 80iger, unter anderem im Museumshop, aber hey, bitte nicht abschrecken lassen, und überhaupt besucht man den Shop doch erst danach!

7. Gibt es ein Danach? Es gibt jedenfalls viel zu entdecken, wie man so schön sagt. Alles möchten wir nicht verraten, aber dass wir die Worte Schwimmoper und Wuppergrafen nicht ohne Grund mit nach Hause nehmen, sei gesagt, und ein Meer von Farben, das wir der Wuppertaler Künstlerin und aktuellen Phönix-Kunstpreisträgerin Eilike Schlenkhoff zu verdanken haben – und ihrem Galeristen Stefan Rasche!

Eilike Schlenkhoff | © Anne Seubert

 

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Wider das Entfalten

Wider das Entfalten und für die, die ihr Furchen nennt. Auf die Gräben und Zeichen, die ihr auf der bloßen Stirn tragt, in der Beuge und unter der Achsel. Auf das bucklige Knie und den widerwilligen Mundwinkel, den Ernst der Lage und den schüchternen Horizont.

Wider die Fruchtbaren und Gedeihenden, lasst uns das Glas auf Brachflächen heben, die Nichtsnutzigen, die Bar jeder Vernunft. Auf die Runzligen und Graumelierten, die Struppigen und Glattgeleckten, die Gefürchteten und die sich Furcht machen ließen, mein Feld sei euer, mein Himmel einer, der hält, war er verspricht, wenn er die Wolken aufzieht.

Möge unser Weg weit sein, krank und schmutzig, das Glas leer und die Butter weit weg vom Brot, es ist die Welt schönerweise eine, die sich den Sonnenuntergang nicht nehmen lässt und das Wasser sich nicht zu schade auch mal unter einem geliehenen Himmel still und den Spiegel zu halten.