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Lektionen in Honiggelb & zu ergänzende Zukünfte

Maximilian Prüfer, Honey Picture 10, 2022, Fotodruck © Studio Maximilian Prüfer 2023

Hühnerfedern. Fingerfertigkeit. Honigkristalle. Viel Gelb. Leuchtendes Gelb. Letzteres zog mich an diesem grauen Novembertag in die oberste Etage des Weltmuseums Wien. “Fruits of Labour” heißt die Ausstellung und die Kuratorin Bettina Zorn führte mit Verve und Sachverstand durch die Räume, die sie gemeinsam mit dem Konzeptkünstler Maximilian Prüfer ausgestaltet und dabei um Objekte aus den Sammlungen des Weltmuseums Wien in Beziehung gesetzt und um kontextualisierende, politische und somit vermittelnde Ebenen ergänzt hat.

Prüfer ist Konzeptkünstler, das erschließt sich bei jedem genaueren Blick in eine der leuchtend gelben Photographien, die vertraut und fremd, ästhetisch und verstörend daherkommen. Keine ist einfach nur ein Abbild. An ihnen klebt der Honig in Form von Kristallen und der durchdringend, zunehmen vergiftet erscheinenden Gelbtönen. Prüfer arbeitet sich auch mit dieser Arbeit am menschlichen Eingriff in die Natur ab und weit unmissverständlich, wenn auch ästhetisch hochwertig oder auch mal spielerisch, auf deren globale Folgen hin.

Für Prüfer ist die Natur kein romantisierter Ort, sondern ein höchst eigenartiges und komplexes Regelwerk, das ihn seit seiner Kindheit fasziniert. Ausgehend vom Insektensterben in Europa und der damit verbundenen Bedrohung für die biologische Vielfalt spricht Prüfer in seinem Werk zahlreiche ökologische Themen an, auch solche die sich in der Folge politischer Entwicklungen im China der 1950er und 1960er Jahre ereignet haben. Fruits of Labour zeigt die Dimension menschlicher Anstrengung, die nötig ist, um den Verlust von Biodiversität zu kompensieren, und stellt das Verhältnis von Mensch und Natur grundsätzlich in Frage.

Maximilian Prüfer, Honey Picture 1, 2022, Fotodruck © Studio Maximilian Prüfer 2023

Prüfer ließ sich für seine im Weltmuseum Wien präsentierte Werkreihe von einer Reise in die Provinz Sichuan inspirieren. Er fand dort ein Tal ohne Insekten und Vögel vor und Menschen, die die Bestäubung der Fruchtbäume mittels selbstgebauter Instrumente aus Hühnerfedern und Stöcken in mühseliger Kleinstarbeit von Hand vornehmen. Eine von Mao Zedong (1893–1976) 1958 initiierte politische Kampagne zur Ausrottung der vier Plagen (Ratten, Fliegen, Stechmücken und Spatzen) während des „Großen Sprungs nach vorn“ hatte u.a. zu einem massiven ökologischen Ungleichgewicht der Natur geführt, in Folge dessen Millionen Menschen den Hungertod fanden.

Die Auswirkungen sind bis heute spürbar. In Regionen der Provinz Sichuan verharrt die Natur in einer hörbaren Stille – und ohne Honig. Um ihr Auskommen zu sichern, übernahmen die Obst-Bauern und Landwirte die fehlende Bestäubung selbst. Maximilian Prüfers Fotoarbeiten zeugen vom menschlichen Erfindungsgeist, die Aufgabe bestäubender Insekten wie Bienen und Wildbienen zu übernehmen und an Fruchtbäumen Handbestäubungen durchzuführen. Die Kristalle zeugen vom Honig,  vom in dem Tal fehlenden Honig, in dem die Bilder explizit gebadet wurden, und der ihnen das Gelb verleiht, das mich in die Ausstellung gezogen hat.

Maximilian Prüfer: Fruits of Labour ist übrigens noch bis 9. Juli 2024 im Weltmuseum zu sehen, eine Führung empfiehlt sich.

Eigentlich war ich für eine andere Ausstellung dort: Science Fiction(s) im Erdgeschoss. Eine in Frage-Stellung unseres Begriffs von Science Fiction. Wenn es ein Morgen gäbe, fragt die Ausstellung quer durch alle Kulturen und was macht uns eigentlich so sicher, dass dem so ist? Welch grossartiger Zug unserer Kulturen, und wir stellen im Laufe der Ausstellung fest, dass die Lust am Zukunftsrätseln tatsächlich eine kulturübergreifende ist, welch frecher Schachzug, mit der sogenannten Zukunft eine dritte Zeit neben Gegenwart und Vergangenheit einzuberufen und gleichzusetzen mit den zwei bestehenden. Dabei hat sie eigentlich nichts mit den beiden zu tun, muss keiner Kausalität gehorchen, sich nicht in Raum und Zeit verorten. Eine Ode an die Kreativität, die individuelle wie die kollektive, die sich hier austoben dürfen.

Tenacity. Andy Everson, 2019, Giclée-Druck, Weltmuseum Wien © Andy Everson

Die Ausstellung eröffnet mit alten Bekannten aus dem westlichen Science-Fiction-Kanon: Star Wars-Figuren füllen den ersten Raum, aber halt, “Wir in Europa sind nicht die einzigen Menschen, die sich überlegt haben, wie es weitergehen soll”, führte Direktor Jonathan Fine bei der Pressekonferenz am Dienstag in die größte Weltmuseum-Sonderausstellung des Jahres ein. “KünstlerInnen aus der ganzen Welt haben das Werkzeug von Science-Fiction aufgegriffen, um sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Es ist eine Einladung, sich eine Zukunft vorzustellen, die nicht nur dystopisch ist, sondern generativ und verändernd.” Und so stehen die Figuren mit indigenen Ornamenten oder Federschmuck entwaffnend perspektiv-öffnend wie -inkludierend im dunkel abgehängten Raum.

Wie gestalten wir eine lebenswerte Zukunft mit allen und für alle und das auch und gerade vor dem Hintergrund globaler Krisen. Das Weltmuseum nimmt seine Verantwortung an, Ort aktueller Diskurse zu sein und die Perspektiven ins Bewusstsein und auf die Bühne zu rufen, die oft aus westlichen Zukunftserzählungen ausgeschlossen sind. Gemälde, Installationen, Filme, Raumschiffe, Kostüme für Performances, Comics, Perlenstickereien und Spiele zeigen alternative Zukunftsszenarien als Werkzeug zur Kritik der Gegenwart, Dekolonisierung und Heilung mit einem Fokus auf Indigene, auf Schwarze und muslimische Stimmen, die dazu einladen, über die Grenzen von Kunst, Popkultur und Aktivismus hinaus Zukünfte jenseits der Klischees von technologiegetriebener Weltraumkolonisierung zu denken – oder auch einfach mal mit Hilfe von KI auszuprobieren, wie die eigenen Assoziationen zu Zukunft sich als Raumschiff ausgestalten würden.

Nicht nur das von Ekow Nimako aus 100.000 schwarzen Legosteinen zusammengesetzte Modell einer afrikanischen Zukunftsstadt (“Kumbi Salah 3020 CE”) nzeigt eindrücklich den Perspektivwechsel, den das Museum hier wagt: Raus aus dem Blick in die Vergangenheit, rein in die Zukunft, und sei sie auch noch so unübersichtlich, vielschichtig und herausfordernd. So nicht kategorisierbar, einordnenbar oder gar erklärbar, all das was ethnologische Museen sonst so gerne machen. Die Ausstellung Science Fiction(s) – Wenn es ein Morgen gäbe ist leider nur noch bis 9. Januar 2024 im Weltmuseum Wien und zieht dann, apropos kollektive Zukunftsszenario, hoffentlich weiter? Wie grossartig wäre es, diese Ausstellung touren und sich immer wieder vor Ort um neue Perspektiven ergänzen zu lassen?