Gemäuer

Schattenwerfer

Spiegelung | Anne Seubert

Du wirfst den Schatten ins linke Auge. Ein Schatten der erst flackert, dann weicht und es schliesslich wagt, zu landen. Ein Land zu öffnen, das erst blinzelt, wenn das Ufer in Sicht, wenn das Meer sich zurückzieht auf eine Insel jenseits des Sichtbaren. Das Sichtbare, dass du fürchtest, wie der Schatten das Licht, da gleicht ihr euch sehr.

Du weist der Wand die Tür und trägst sie über die Schwelle, als das Wasser steigt. Das Wasser, das Wände flach legt, ganze Mauern, das fließen macht, das selbst Woge und Gischt und Tropfen auf den heißen Stein. Den Stein, den du dir in die Hosentasche sicherst, als gäbe es Halt to go und Gewicht auf Zuruf.

Du stellst die Uhr auf viertel nach acht und legst das Ufer zu den Akten, wie einen ausgedienten Liebhaber. Die Liebe dir zu Füßen wie das Fell, das deinen Fußsohlen schmeichelt als wäre Strand etwas, das nachwächst. Ein Wachstum, an das wir alle glauben, so lange wir noch nicht an Land, so lange uns die Welle im Wasser trägt. Das Wasser, das jeden Gedanken so umspült, dass jede Flucht obsolet, jede Wirklichkeit nur eine von vielen an einem Horizont, der sich mit jeder Welle neu erhebt, auflöst oder teilt, nie aber einen Schatten wirft.

Gemäuer

Reise in eine entlegene Zeit

Entlegene Zeiten | © Anne Seubert

Weite. Ein Wort, das verweilt. Erst am Gaumen britzelt und dann langsam sich ausbreitet, bis der Kopf erfüllt: Spiegel des Raums bis zum Horizont, der hier unverortbar, weit im Raum bleibt. Raum, der hier gleichzusetzen mit der Zeit, die er uns im Reisen mitnimmt, die die Reise in Anspruch und in Gewahrsam nimmt. Gott, gebe mir Reisen, Zeit und Raum und einen Himmel, und sei er nur geliehen.

Jenseits der Städte, erwartet uns ein dieser Himmel, in dem sich Wolken tummeln, zuweilen ungestüm aufbauschauen, zuweilen schüchtern um die Wette flausen, zuweilen auf einer unsichtbaren Glasplatte schlitternd und das in Zeitlupe. Eine Zeitlupe, die auch den Raum ins Visier nimmt und ihn sich ausdehnen lässt, Gedanken an Diäten weit hintanstellend. Man mag nichts als ausschreiten und diese und andere Gedanken auf Achse schicken. X, Y und Z.

Und dann ergibt es sich doch, dass man eintaucht. In einen Hügel, eine Blüte, eine Pfütze – Ü, ich hör dir trapsen – und die Gegenwart kurz blinzeln lässt in das, was sich da laszivst ausbreitet und hinter vorgehaltener Hand genüsslich aufstöhnt. Nur kurz, denn allzuviel Platz will man dem Jetzt nicht einräumen von dieser guten Zeit, die zu Recht kein Visum beansprucht, ja, ihren Namen nicht preisgeben möchte. Die ein Feld sein möchte, mit Furchen und Fabeln, zuweilen einen See offenbarend, dessen Ufer so entlegen, das immer geöffnet.


Musen: Kathrin Passig und Aleks Scholz und ihr Handbuch für Zeitreisende, Rowohlt 2020