I.
Bei unserer ersten Begegnung aber schwiegst du, ich sah dich nur von hinten. Gemeinsam wurden wir in die Geheimnisse der Uni-Bibliothek eingeführt. Beide kämpften wir um den nötigen Ernst. Du warst lang und knochig, angemessen ungekämmt und unsagbar lässig. Ein Alphatierchen, noch inkognito, inmitten unserer Gruppe tollpatschiger Erstsemestler.
II.
In meiner Klasse war ein Junge, dessen Stimme so tief, das sie hörbar blieb, auch wenn er flüsterte. Wahrscheinlich war das meine erste Begegnung mit dieser markerweichenden, gnadenlosen stimmhaften Sinnlichkeit. Zumindest verzeihe ich seitdem Männern mit tiefen Stimmen unvergleichbar mehr. Und der erste, der davon reichlich Gebrauch machte, warst du.
Das Frühstück, das du in den 5. Stock gebracht hattest, verzehrten wir auf meinen 12 Quadratmetern im Schneidersitz sitzend, umgeben von weiblichen Akten. Sie lehnten an der Wand, die lasziven Vorderseite nur teilweise entblößend. Ein in dunklen Blautönen gehaltener thronte nonfinito seit Wochen auf meiner Staffelei. Du hattest Blumen mitgebracht, Osterglocken, die wir in ein Wasserglas steckten.
Ich hatte Hunger, großen sogar, meinen üblichen Morgenhunger. Aber dann war da deine kaffeefordernde Stimme, und zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben war ich nicht in der Lage, einen anständigen Kaffee zu kochen. Die Kilos auf meinen Hüften ließen mich weniger essen, als ich eigentlich vorhatte stattdessen entdeckte ich deine Augen aus der Nähe. Du trugst eine starke Brille, die du zum Frühstück abgenommen hattest. Ich sah den Abdruck auf deinem Nasenrücken deutlich: Rötlich wund schimmerte er und löste in mir den nur schwerlich zu unterdrückenden Reflex aus, die malträtierte Haut mit ein, zwei Fingerbeeren tröstend zu streicheln.
Wer sagte man solle bei Nervosität seinem Gegenüber zwischen statt in die Augen schauen? Wer auch immer, lügt.
III.
Als sich deine Mundwinkel zum ersten Lächeln verzogen, lagen längst Stunden intellektuellen Disputs hinter uns. Wir waren Studenten. Dass du mich um meiner Sprachgewalt bewundert, gar gefürchtet hast, hast du mir erst Jahre später gestanden, es ist mir bis heute unbegreiflich. Ich hatte nicht nur dir gegenüber das Gefühl, mich nur schwerst und wenn dann äußerst schwerfällig, verständlich zu machen. Mit rumpelnden unvollständigen Sätzen, falschen Ausdrücken und Fettnäpfen jeder Art.
Dein Lächeln aber, das sich erst mit ein, zwei Sekunden Verzögerung in den Augen niederließ, wirkte. Die entstandene Nähe überforderte uns mit sofortiger Wirkung und ließ dich nicht fluchtartig, aber bestimmt meine Wohnung verlassen. Anrufen sollte ich dich bis auf Weiteres bitte nicht, auf gar keinen Fall ansprechen, das batest du dir aus. Und keine Briefe.Meine beiden Mitbewohnerinnen, die in ihren Zimmer gewartet hatten, bis die Tür hinter dir ins Schloss gefallen wäre, verstanden das weit weniger noch als ich.
IV.
Ich will dich wiedersehen. Wollte ich immer, habe ich auch, von Zeit zu Zeit. Wir treffen uns immer an einer der U-Bahnstationen der großen Stadt, in der du zur Schule gingst und ich mittlerweile wohne. Du hast die Stadt längst verlassen, bist weitergezogen, kommst nur sehr vorsichtig zurück, stets auf Stippvisite, stets zwischen Terminen, an die wir uns anlehnen, zu denen wir flüchten, wenn Not an Gesprächsstoff oder die Nähe zu dicht.
Irgendwann bin ich dir in deine Stadt gefolgt, habe einen Frühling genutzt, dich in einem Park zu treffen, zwischen zwei Sonnenstrahlen auf einen Kaffee. Das war unser letztes Treffen und es liegt lange Jahre zurück. Trotzdem denke ich auch in diesem Frühling wieder an dich und deine Träume, an deine Heimat, die ich immer noch nicht besucht habe und deine Mutter, die du mir immer mal vorstellen wolltest. Ich weiss bei jedem Besuch eines Flughafens, dass man das Glück haben kann, von dir abgeholt zu werden und ich wüsste nicht, wie Kochkäse schmeckt, hättest du mir den damals nicht als regionale Spezialität kredenzt.