Gestern

Ein Schal schreibt Geschichte

Vor drei Jahren verguckte ich mich in den Schal der Kundin. In einen Shade of Grey, der ganze Berge in mir zum Klingen brachte, saß sie gehüllt eines Morgens beim Meeting. Ein Schal, wie für mich gemacht: Zum Einhüllen gleichermaßen wie zum um den Hals wickeln. Lang genug und als Schlaufe genäht, dass er auch als Überwurf an lauen Sommerabenden dienen wollte.

Zwei Jahre habe ich benötigt, um mich zum Kauf zu überzeugen, es gab und gibt ihn immer noch bei American Apparel in allen Schattierungen übrigens, und ich schlug zu, als ich zur Buchmesse in Frankfurt weilte und einen Grund brauchte, um mich meiner Nostalgie hinzugeben. Etwa einen Monat trug ich ihn zu allen Gelegenheiten, dann war er plötzlich weg. Ich musste ihn bei einer meiner Touren durch die Stadt verloren haben. Natürlich fuhr ich alle Stationen ab, doch vergebens. Ich haderte. Zwei Wochen lang. Dann kaufte ich mir den tupfengleichen Schal nocheinmal. Diese Mal in Berlin. Ich widerstand der Versuchung, eine andere Schattierung, eine andere Textur zu wählen. Ich sollte kaum dazu kommen, ihn zu tragen.

Zwei Tage später telefonierte ich mit einem meiner Lieblingscafés und im Verlauf des Gesprächs fragte mich der Besitzer doch tatsächlich, ob ich nicht einen grauen Schal vermisse – man habe das bei meinem letzten Besuch vergessen, aber der Schal warte auf mich am Tresen. Ok! dachte ich mir: Dies sei meine letzte Lektion in Sachen Ungeduld! Und gleich beim morgendlichen Joggen am nächsten Tag eilte ich ins Café Kraft. Tatsächlich händigte man mir dort ungefragt den vermissten Schal – und einen spontan georderten Kaffee – aus. (Davon dass ich auf dem Heimweg von einer Wahrsagerin angehalten wurde, die mir ungefragt letzteBlockaden aus dem Bauch zauberte, fang ich jetzt nicht noch an.)

Zwei Schals also. Kann nur mir passieren.
Ich beschloss zu genießen, trug den ersten Schal wieder, fast ausschließlich. Als ich meine Cousine in Hamburg besuchte, die einen ähnlichen Geschmack hat wie ich, vermachte ich ihr meinen zweiten Schal und wir verbrachten ein Wochenende im Partnerlook. Grossartig diese Schals: perfekte Ergänzung zum Kleid und Mantel, schmiegen sie sich an dich, wenn du fröstelst, schmeicheln dem Kleidungsstück, der Begleitung und dir.

Ein Schal glücklich in Hamburg, einer in Berlin. Einen Winter lang ging das gut. Zu gut? Vorletzte Woche passierte, was keiner ahnen wollte, ich am allerwenigsten: Ich ließ meinen Schal nach einer Vorstellung in der Volksbühne liegen. Reihe 17, Platz weiß ich nicht mehr! Streets of Berladelphia. Wenigstens. Denn Zack! Weg! Spurlos! Alle Versuche über den (sehr tollen!) Abenddienst an das gute Stück zu kommen – vergebens! Der Schal hat definitiv noch jemandem gut gefallen und ich stehe jetzt vor der Entscheidung, ihn mir zum dritten Mal zu kaufen.

Schalschicksal, darf ich bitten?

Gestern

2014 – Vom Winde verweht

Wenn die Erinnerungen an ein Jahr den Notizblock sprengen, den Druckbereich seitenweise überschreiten, die Stirn in Falten legen, dann spätestens ist Zeit für den Blick zurück, dahin wo der Januar die Augen aufschlug und ich vorwitzig bemerkt hatte “Nackte Erde”, sagst du und ich: “Tango”.

Auch dieses Jahr ist mir der Mek zuvorgekommen und ich sag es lieber gleich: Der Tango hat in diesem Jahr nur eine Stunde abbekommen, das Gluten kaum einen Bissen, 2014 war ziemlich viel und am ehesten vom Winde verweht. Und sonst so?

Januar
Den Januar habe ich grösstenteils im Bett verbracht, der trimalleolaren Fraktur sei Dank. Das Lächeln zeigte plötzlich ganz schön Zahnlücke und die Frusttoleranz wusste wieder um ihre Grenzen.

Februar
Im Februar dann wurden Ängste gezähmt und es ging sich wieder auf Krücken nach Warschau, Wadenbeinseufzer entziffern und Placki ziemniaczane.

März
Im März gab es Nachschlag mit Blick aufs Meer – die kalifornische Küste hatte an Land gerufen, ich wollte nicht länger schwimmen und bestand auf Ganzkörperkontakt.

April
Im April war ich das erste Mal seit langem wieder auf einem Punkkonzert. Der große Bruder am Schlagzeug und ich in der ersten Reihe. Mit Tränen in den Augen.

Mai
Im Mai war Republica und – nicht kausal damit verknüpft – Zeit für Identitätskrisenwonnen.

Juni
Im Juni gab es Wildschweingulasch und Quittengelee, einen Monat lang, ihr zu Ehren, die die Welten wechselte, pünktlich zum 95. Die Badische Zeitung würdigte unser beider Leidenschaft, ich den Schwarzwald.

Juli
Im Juli wurde viel getanzt, erinnere ich mich, barfuß u.a., Lippe an Lippe, Tango auch und Kasatschok.

August
Im August waren endlich die Feigen dran und wir pflückten die eben erreiften, hellgrün klebrigen an der dalmatischen Küste, verliebten uns in Ajvar und das Leben im Olivenhain; die Finger schwarz vom selbstgebrannten Walnussschnaps.

September
Im September wurde Club Mate gehuldigt und ich lernte Brandenburg. Ein ganzes Wochenende lang Spazierengehen ist möglich und immer wieder empfehlenswert.

Oktober
Im Oktober durfte ich den San Bernadino nocheinmal knutschen, endlich einen Fuss auf die grüne Insel setzen (und mit den Wikingern Dublin erobern). Und einen weiteren Traum wahr werden lassen: Auf der Frankfurter Buchmesse dem Buch als langjährigstem Freund huldigen, seiten-, was sag ich, stapel-, ja gängeweise. Und Bruce Willis war Zeuge.

November
Im November wurden drei meiner täglichen Worte in Kunst, Stahl und Druckerschwärze verpackt und auf Papier gegossen: Leise Vergnügungen galore!

Dezember
Im Dezember durfte ich mich einmal über den Markt und zurück naschen, mit Peer Kuszmagk um die Wette krümeln, Enie van de Meiklokjes mit Gewürzkeksen verführen und halleluja!

Mir selbst nämlich durfte ich einen meiner ältesten Kindheitsträume erfüllen: Postkarten von Feuerland verschicken. Davon würde ich ehrlich gesagt am liebsten noch ein paar mehr schreiben.