Gestern

Tee trinken

Manchmal wüsste ich gern, was Du denkst. Oft sogar. Und nicht mal so sehr wenn Du wie so häufig schweigst, meist mit zuckenden Mundwinkeln. Eher wenn Du Dich mit mir unterhältst, gar nicht mal unaufmerksam. Aber dieser Blick dabei, dieser nicht fokussierte Blick, der mir sagt, Du bist nicht nur hier. Oder auch, Du bist nicht freiwillig hier.
Manchmal setze ich dann an, meine Lippen formen das W fürs Wo und just dann holst Du Deinen Blick zurück, schaltest die Blickrichtung gleich und ich schlucke den erst zur Hälfte gestanzten Buchstaben hastig noch einmal hinab. Ich will ja eigentlich gar nicht fragen. Weil ich die Antwort lieber vermeide.

Aber überzeugt bin ich nicht, ich hab Deine Fingerspitzen zittern sehen. Ich hab den Willen gesehen, den es Dich kostete, die hundertprozentige Anwesenheit zu verkörpern. Und dass es Dir trotz der jeweils aufgewendeten Kraft nur punktuell gelingt. Ich frage mich, welche Welt an Dir zerrt, welcher Sehnsucht Du da wieder und wieder den Hahn abdrehst. Und ich warte zunehmend auf eine Einladung in diese Welt.

Diese Einladung jedoch bleibt aus und das Warten bleibt wie so oft vergebens. Und je öfter ich warte, je länger, je vereinnahmender wird das Warten. Ich warte auf Deine ungeteilte Aufmerksamkeit, Deine Einladung, auf Dich, und auf Deine Welt. Und ich wage es nicht, diese Welt auch nur auf Zehenspitzen selbst zu erkunden, zu sehr flackerte Dein Lid, als ich einmal nicht schnell genug schluckte und mir das Wo entkam. Es war das erste Anzeichen, dass ich bald nicht mehr nur auf Deine Einladung warten würde sondern immer häufiger eben auch auf Dich.

So bleibt mir auch heute nichts als Warten, der Angekündigte, der sich selbst angekündigt Habende taucht nicht auf. Stunden später noch sitze ich erwartungsvoll frisiert, die Beine fotogen übereinander geschlagen. Und er kommt nicht. Nicht auf mich zu. Nicht her. Nicht rüber. Er ruft nicht an. Ist nicht da. Nicht präsent. Auch nicht erreichbar. Die Klingel sei kaputt, erfahre ich, dass ihn das abgeschreckt habe bezweifle ich jedoch. Oft genug sah ich ihn durch Wände gehen, oft genug überwand er Distanzen mit einem Husten nur. Ich aber warte, warte sinnentleerte Texte erbrechend über Zeit und Zählung, über die andere Welt und das Wetter. Täusche nur mangelhaft darüber hinweg, dass ich warte. Warte. Und immer noch: warte. Mit einem Ohr an der Tür, das Ohrläppchen Richtung Telefon. Das taubstumme Nichts mich erschlagen lassend. Allen Raum dem Zweifel anheim gebend.

Gestern

restitutio ad integrum

Wer mit mir näher zu tun hat, weiß, dass ich in Sachen Kommunikation mitunter eigenwillig und so zeitweise beispielsweise telefonisch nicht erreichbar bin. Manchmal auch mal eine zeitlang gar nicht. Dass die Kommunikation mit dem Reiki-Meister allerdings missglückte, kann nicht daran gelegen haben, er wollte sich bei mir nämlich per Email nach eingetretenem Behandlungserfolg melden und tat es über zwei qualvolle Wochen lang nicht. In der dritten versuchte ich telefonisch mein Glück, wurde jedoch von einem rauschenden AB abgefangen.
Schwer wurden die Nächte, leidvoll die Stunden im Bus und mein gerade verheiltes Sprunggelenk schwoll unter der neuerlichen Belastung durch die zurückzulegenden Laufstrecken zwischen den einzelnen Haltestellen und Haustüren erneut an.

Ich ahnte das Schlimmste. Umso mehr strahlten meine Augen, als er vorgestern anrief und die vollständige Genesung verkündete!

Nun gibt es noch zweimal 24 Stunden Zinksalbe und dann aber wieder zurück auf die Straße, in die Kurven und den Rest der Stadt. Ich küsse die Kiesel zum Dank, dreimal jeden Einzelnen, in Zukunft werde ich Bordsteinkannten, Schotterpisten konsequenter meiden und dem Grünen das Stahlschloss doppelt um den Hals wickeln, wenn ich es stehen lasse. Halleluja.