Gestik

Charmeoffensive

Der genuin Charmante bestach durch Tränen im Ohrinnern, welche sich dem Gegenüber zugegebenermaßen nur offenbarten, so er sich über die notwendigerweise mit dem überdurchschnittlichen Charme einhergehenden ergreifenden Hässlichkeit des Antlitzes bereits hinwegzusetzen vermochte. Und weiter seine Lippen auseinander zwang, um zwischen den Zähnen hindurch den Gaumen zu erspähen und weiter den Rachen hinab, dahin wo der Charme seinen Ursprung haben muss, der nur zu Tage tritt, wenn Klang die Mundhöhle überfüllt. Soweit, bis erste wagemutige Buchstaben sich schließlich dazu anschicken, des Körpers Wärme zu verlassen um anderer Leute Ohrmuscheln zu erobern.

Dann, dann bedarf es keiner glühenden Sonne mehr, keiner flötenden Kellner, keiner libidoschwangeren Trinkhalme, denn dann lächelt sie unhör- aber sichtbar glucksend ihr Konversationspausen umspannendes Strahlen. Dann scheint um halb vier morgens die Sonne, als regne es die nächsten sieben Wochen. Dann nähren ihre Blicke wie Tante Gerdas Schwarzwälder Kirschtorte. Und er labt sich, staunend ob der Wirkung seiner drei Spähfloskeln, schiebt erst zögernd, von ihrer anhaltenden Aufmerksamkeit beflügelt, dann aber beständig Sätze nach, die er vor Wochen bereits in einsamen, aber schlaflosen Nächten gedrechselt. Nicht wissend, ob sie jemals mit Stimme versehen zum Leben auserkoren würden, ins Blaue gedacht und Pore für Pore mit der Würze des bis dato ungenutzten Gaumen veredelt.

Im Windschatten seiner Wortreihen bleibt ihr Lächeln nicht lange allein auf der Tribüne, Nachahmer finden sich ein, erheben den zuvor links außen liegenden, den im Schatten sitzen und Parkenden, den unter der Hutkrempe nur schwerlichst Erkennbaren, den zutiefst Vereinzelten innert Minuten zum Protagonisten. Samt lippenlesenden Groupies mit der ersten Einladung zum Tanz im gepufften Ärmel.
Wie gut, dass er dies eine Mal nicht stumm geblieben, schmunzelt selbst das unter seinem noch von Muttern fransig geschnittenen Milchbubenpony stets anwesende Über-Ich ob der ihm zu Teil werdenden Anerkennung jovial miteinstimmend. Die dreieinhalb Tränen, die heimlich sein linkes Ohrläppchen herab rannen aber bemerkte nur eine.

Gedanken

Unter Medusas Lächeln

Marmornen Fußes versucht Medusa mir gegen Ende des Morgens meine tägliche Portion verschwörerisches Lächeln durch die ungeputzten Scheiben zukommen zu lassen. Heute mangels solarbetriebener Mundwinkelkrümmung vergebens, dafür küsst ein Paar sich, Medusas Blick entzogen eine Häuserecke weiter weltvergessend. Prompt spürt mein rechtes Handgelenk den Willen der einzelnen Finger seiner Hand, die unwillkürlich nach fremder Haut tasten. Ihre Kontraktionen strahlen bis weit über den Ellbogen hinaus, kitzeln gar das Schulterblatt und den ihn umgebenden Schmerz wach.

Einen Schluck Kaffee später bereits, ist das Paar verschwunden und Medusa beehrt mich mit gönnerhafter, leicht spöttischer Aufmerksamkeit. Es träumt sich gut südwestlich ihres Wangenknochens und doch zieht es am Ende des Tages einen jeden und auch mich gar hastigen Schrittes in die nächste Gasse, Schutz zu suchen vor nicht nur ihrem Blick, und sei sie noch so schmal. Und mitunter wäre ich um eine Sonnenbrille, blickdichte Strümpfe und die Möglichkeiten einer lautlosen Gardinenstange dankbar.

Die lauwarme Tasse umklammert, zügle ich die Reichweite meines Augenlichtes, angepasst an die schlierigen Doppelglasscheiben. Auch mein Lächeln darf nurmehr bis zum Türknauf säuseln, jenseits liegt nun Sperrgebiet. Für heute zumindest gilt es, die Konzentration auf die Fingerspitzen zu richten und Medusa links liegen zu lassen. Im Regen stehen. Eiskalt. Ungeküsst. Spoliencharme hin oder her, ich habe zu tun.