Gestik

Scharade

Nelkenbärte in Purpur und Violett. Grünwandiges baucht sich in doppelter Ausführung nurmehr halbgefüllt, der Abend geht sichtbar zur Neige. Der Süße des Nachtischs geschuldete Pausen häufen sich, das Wortfleisch verbleibt allzu oft nun im Anschlag. Da lohnt ein Spreizen der Wadenmuskulatur, ein Lüften der Haarwurzeln, Rumpfbeugen. Dann erst wieder das O in Nasalposition gebracht – man erinnere das Altprovenzalische – und die Hasenscharte frisch gewetzt: Sprache filettieren als Wettkampfsport.

Der Flaum deiner Achsel hatte sich chlornass und pomadenschwarz die Kachelwände emporgerankt. Hatte die Symmetrie deiner Schulterblätter aus dem Gleichgewicht gebracht und deine Silhouette um den entscheidenden Flaum bereichert. Hatte den anthrazitfarbenen Füllfederhalter zwischen deinen die Anspannung verratenden blass werdenden Fingerknöcheln in den Schatten gestellt. Hatte mir die Italiensehnsucht eingepflanzt, so nachdrücklich, dass mein zuvor eher allgemein gehaltenes Fernweh keine Chance mehr hatte.

Seitdem und so auch heute trage ich Hut und du eine Zigarettenspitze zwischen den Fingern. Ich flechte meine Wimpern zwischen Flachmänner und verberge das Lächeln tunlichst, das sich bei bewölktem Himmel doch immer wieder unter der Krempe hervorwagt. Pflanze Rabattmarken, gräberweise, und bereits nur jedes Schaltjahr eine dezent gemusterte Krawatte. Wo im Restlichverstärker nun mir leere Poren leuchten, dein ganzer Oberkörper weit und obendrauf ein hilfloses Lächeln gepappt.

Gestern

Ringelegängele

Als ich damals meine Eltern kennen lernte, war mein Vater drei mal so alt wie ich. Ungefähr jedenfalls. Wenn sie nicht wollten, dass ich sie verstand, sprachen sie französisch oder englisch. Meist aber doch glücklicherweise deutsch. Manche Worte hingegen gehörten unserer Familie auch ganz allein und ich werde mich hüten, sie hier preiszugeben. Ringelegängele gehört glücklicherweise nicht dazu.

Sie hatten sich wohl verlaufen, ihr und sein Finger verhakten sich fast auf dem viel zu kleinen Stadtplan, während ihre Füße weitertrippelten, ohne so recht zu wissen wohin. Ich sah ihr Torkeln schon von Ferne und wich bogenförmig aus, nicht aber ohne Fetzen der angeregten Diskussion ans linke Ohr geliefert zu bekommen. Und z’mitts in den Satzfragmenten ganz unverhofft ein Ringelegängele. Von ihr ärgerlich gezischt, von ihm schnaubend vernommen: Ein einziges Ringelegängele, was sie da zusammenliefen.

Im Weiterfahren nuckelte ich mir den Wort-Schatz nochmals aus den Tiefen meines Gehörgangs und stopfte ihn mir beim erneuten Anblick unwillkürlich tief in den Mundraum. Zwischen Zunge und Gaumen entfaltete er sodann, großzügig eingespeichelt und vermittels der Zungenmuskulatur und ein wenig Geschick genießerisch um die eigene Achse gedreht, den verführerischen Geschmack wohltuender Heimaterde. Und zwischen den fruchtbar-feuchten Krumen die Erinnerung alpenbezwingungender Serpentinen, die sich in meine Zahnzwischenräume wand, mir die Mundwinkel unwillkürlich spreizend.