Da sitzen wir im Halbdunkel, mustern uns schüchtern, jeweils wenn der andere gerade nicht guckt, unter offenliegenden Stromkabeln auf schutzumhüllten weißen Ledersesseln. Wie sie ihre Tasche immer wieder enger an ihre Seite zieht und dann hoffend den Gang hinunter sieht, wo noch ein wenig weniger Licht hinfällt, aber wo die Tür ist, die sich bald mal wieder öffnen sollte. Bei ihr hätte es mit den Nerven zu tun gehabt, sagt da das junge Mädchen neben mir plötzlich, das eigentlich schon Mitte 70 ist und lächelt mich an. Verdammt große blaue Augen blitzen auf und lassen mich nachdrücklich wissen, dass hier jemand eine eigene Meinung hat und definitiv kein Problem mit Übergewicht.
’89 habe die Mutter einen Schlaganfall gehabt und hätte gepflegt werden müssen. Sie habe sich frei nehmen können, weil das damals im Osten noch gegangen sei, der Job danach noch auf sie gewartet hätte. Auch wenn sie weit über 50 gewesen sei, damals schon, sagt sie und lächelt angenehm kokett. Aber anstrengend sei es eben doch gewesen und gestorben sei die Mutter nach wenigen Monaten auch. Da hätte sie dann wieder angefangen zu arbeiten, bis der Vater kurz später einen Herzinfarkt erlitten habe und ins Krankenhaus kam.
Gefleht habe er, sie möge ihn heimholen, er würde sich schon alleine durch den Tag bringen, sie müsse nur nach der Arbeit kurz reinschauen. Das müsse doch gehen. Und dass es eben nicht gegangen sei, dass sie ihn im Krankenhaus gelassen und stattdessen weitergearbeitet hätte.
Keine zwei Wochen später war auch der Vater tot und hätte sie gewusst, dass weitere drei Wochen danach bereits die DDR und damit auch ihr Job hinfällig würden, sie hätte ihn natürlich nach Hause geholt und liebevoll gepflegt und er wäre vielleicht nicht gestorben. Zumindest nicht gleich. Aber wer konnte das schon ahnen und es käme, wie es kommt, sie mache sich da nichts vor, da habe sie keinen Einfluss drauf. Sie bereut nichts, sie wartet geduldig und lächelt als die Tür sich schließlich viel zu früh öffnet, noch ehe wir Telefonnummern oder zumindest den Namen ausgetauscht hätten. Nur für ein komplizenhaftes Blinzeln über ihre rechte Schulter hat es gereicht.