Gelage

Seilschaft am Tuniberg

Tuniberg 2022 | © Anne Seubert

Der Tuniberg liegt so bescheiden,

in unserm schönen Oberland,
bewohnt von arbeitsamen Leuten,
auf unserm schlichten Bauernland.

Friedrich Bärmann (1825-1874), Die Vorzüge des Tunibergs

Bevor der Wein hier weiß, was er werden will, gibt er den Böden seine Stimme, ihm ihre Geschichten zu erzählen, und die Ritter Kunibert des Tunibergs versammeln sich um ihre eherne Tafel am Fuße des Attilafelsen. 40 Meter tief liegt hier der eigentliche Grund verborgen, auf dem sich Helden und Heldinnen verschiedenster Völker den Boden nicht ohne Grund (sic!) streitig machten.

Einst waren Feuer und Rauch hier zu Hause, Vulkane speiten, was Ihnen die Erde zum Spielen gab und sie am Gaumen kitzelte. Heute steht erhaben hier ein Kalk, der Osteoporose als Kompliment verstehen würde: Löchrig wie ein Schweizer Käse, speichert er das Nass, bevor er es in Trauben prall und rund zum Besten gibt: Zuvorderst als Weissburgunder, Grauburgunder, Spätburgunder und Müller-Thurgau.

Öchsle-Seilschaft

Immer eine Rebe über und unter sich, weiß jeder Rebstock hier früh, dass eine Traube allein kein Glas füllt, dass nur wer brüderlich Hab und Gut und Boden und Himmel teilt, der Sonne schöne Augen machen darf, dass wer hier Lage sagt, auch Glück meint und einen Platz unter der Sonne und an diesen Strom, der sich durchs Land gen Norden wagt und rechts und links Hügel aufwirft, einem Himmel entgegen, ein Rhein, der es gut mit uns meint.

Der kleine Bruder des großen Kaiserstuhls, le petit frêre, wie er sich selbst gerne nennt, bietet eine Heimat all jenen, die ein Plätzchen suchen, das mehr Aussicht als Ankunft im Portfolio, mehr Innehalt als Außenposten, mehr Einkehr als Einfall, mit all dem was dazu gehört: Das Auge fürs Detail im Werden und Erblühen – Anemonen! -, mehr Demut als Hab-Gier, mehr Sonnenstrahlen als Pool-Nudeln. All jenen, die auch gerne mal Chirsi und Chäschte sammeln, statt als Kaiser-König Hof zu halten.

 

Driibelbeerli vum Tuniberg

Tuniberg – Sunneland,
Leßlandschaft in Gottis Hand.
Orchideä, Kuchischelle,
siiht mer dert an mänke Stelle.
Spargle gits, scho anfangs Mai
un au sunscht so mancherlei.
Wu mer naluägt, machts eim Freid,
iberal isch Fruchtbarkeit.
Un in sälle viile Baim
sin Vegel aller Art deheim.
Rebsticker siiht mer – breit un lang –
iberal an jedem Hang.
Dausig Johr scho gits dert Wii,
au in dr nägschte wirds so sii.
Wel viil grote duät dert obe,
diäne d Lit au gherig lobe.
Des Kleinod, do, am Oberrhii,
kennt welleweg nit scheener sii.

Martha Schmidle, Mundartdichterin, 1925‐2019

Wer auf Anhieb versteht, was die Autorin Martha Schmidle dem Tuniberg in ihren in Mundart verfassten Gedichten auf den Leib schreibt, kommt aus der Gegend. Das Alemannische bringt das Kleinod zum Sprechen, zeichnet einen wilden Garten mit einst paradiesischen Bedingungen, in dem sich Geschöpfe und Geschmäcker unter der Sonne tummelten.

Tuniberg 2022 | © Anne Seubert

„Dem Kleinod da“ zu Füßen fläzt sich die oberrheinische Tiefebene und erst in Frankreich drüben erheben sich neue Bergwelten, tummeln sich Blaue, Bälle und Belchen – sprich Bällchen! – und schlagen einen sanft wellenden Horizont auf, der dem Land Rückwand und den Wolken Zaun. Die Ebene dazwischen aber birgt eine dieser Landschaften, die der Rhein immer und immer wieder neu erschafft, während er sie stoisch Meile um Meile durchschwimmt.

Mit der somnambulen Ruhe einer Kraft, die weiß, dass, wer sich ihr in den Weg stellt, früher oder später links oder rechts an ihrer Seite anlandet, lese ich zwischen den Schwellen gleichermaßen Stolz und Staunen und eine große Portion Dankbarkeit, hier nicht nur zugegen, sondern willkommen sein zu dürfen. Lese ich, fädele mich in eine der Seilschaften und unterschreibe: Ja, ich will, kommen, staunen, bleiben. Wie gut, dass es an Bänken nicht mangelt, von denen der Blick in alle Richtungen ausschweifen darf.

Tuniberg 2022 | © Anne Seubert


PS: Martha Schmidles Text ins Hochdeutsche übersetzt in etwa:

Tuniberg – Sonnenland,
Lößlandschaft in Gottes Hand.
Orchideen, Küchenschellen
sieht man hier an so manchen Stellen.

Spargel gibt‘s schon Anfang Mai
Und auch sonst so mancherlei
Wohin man schaut, es macht sich Freude breit:
Überall ist Fruchtbarkeit

Und in den vielen Bäumen dort
Sind Vögel aller Art daheim
Rebstöcke sieht man – breit und lang
überall an jedem Hang.

Tausend Jahre schon gibt es hier Wein
Auch in den nächsten wird es so sein
Weil vieles einem gelingt hier oben
Tun die Leute auch gehörig loben!

Das Kleinod, da, am Oberrhein
Könnte in der Tat nicht schöner sein.