Gedanken

Me and Museums

Flechten ist Entscheiden | Museum Europäischer Kulturen, 2022 | © Anne Seubert

Ein Museum ist ein Museum ist ein Museum? Ist mir Ort des Entdeckens und Eintauchens, des weit Hinausschwimmens, des Vertiefens und Eingrabens, des Innehaltens und Wiedererkennen, auch des Fremdelns und Staunens, ist Oase und Zufluchtsort mir, ausgelagertes (Kollektiv-) Gedächtnis, AHA-Momente-Spenderin und Verführerin in Welten, die ich so noch nie und vielleicht auch nie wieder besuchen werde.

Einreisen

In Museen reise ich am liebsten alleine, mit ausreichend Zeit und Muße. Für manche Ausstellungen suche ich mir Reise-Gefährten, die ich vor der Tür treffe, mal mehr, mal weniger vorbereitet und hoffentlich mit Zeit für den Kaffee danach, denn es wird viel auszutauschen geben, viel zu besprechen, dieser abschließende oder besser anschließende und eher nicht abschließende Perspektivwechsel auf das, was ich wahr- und mitgenommen, und was meine Begleitung erfahren hat, ist fast gesetzter Bestandteil der Reise. Umso toller, wenn das Museum mit einem Café und in den Sommermonaten auch gerne genommen: einem Garten aufwartet, in dem man flanieren und sich niederlassen kann.

Manche Ausstellungen flirten lange mit mir, bevor ich ihnen erliege, sie nennen ihren Titel auf Plakaten, gewähren erste Einblicke auf Social Media, andere Reisende berichten begeistert oder kritisch, im Radio jubelt vielleicht einer und dann packt es mich und ich denke, da muss ich hin! Andere brauchen nur ihr Thema zu nennen, ihr Museum, in dem sie sich ausbreiten, ihre Kuratorin oder den Initiator des Unterfangens, und ich setze sie auf meine Liste (Stefan Sagmeister war so einer im MAK Wien). In manchen Fällen bin ich dann null vorbereitet, in anderen habe ich alles gelesen, was es zum Thema, zur Künstlerin und zur konkreten Ausstellung zu lesen gibt. Manchmal ist das gut, mitunter schafft es einen Erwartungshaltung, der die Ausstellung dann gerecht werden muss, es manchmal schafft, und manchmal doch etwas ganz anderes in mir auslöst, als von den Ausstellungsmacherinnen geplant oder von den anderen Besucherinnen wahrgenommen.

Einatmen

Hast du das auch so empfunden? Wie ging es dir damit? Das hast du so gesehen? Eigentlich möchte man direkt nochmal eine Runde, oder aber nach Hause und ruhen und wirken lassen. Denn all das, was da kuratiert und ausgestellt, was vermittelt und vorgestellt, was ausgebreitet und zugespitzt, was provoziert und zweimal hat hinschauen lassen, lässt sich häufig nicht einfach so in den Alltag mitnehmen. Das Gelernte, Gesehene, Gespürte möchte sacken, möchte nachgeschlagen und kontextualisiert werden und fast ist es wie beim Fasten: je bewusster ich den Übergang zurück gestalte, umso wirk-kräftiger wird es meinen Alltag bereichern, meine Wahrnehmung verfeinern, sich in meine Wortwelt einschreiben.

Und wen wundert das, hat doch ein multi-disziplinäres Team Jahre, ja, Jahre, ich spreche aus Erfahrung, damit zugebracht, diese Ausstellung vorzubereiten. Hat das Thema gewählt und dazu geforscht, alles gesammelt und gesichtet, hat dann ausgewählt und aussortiert und sich auf die Suche nach Möglichkeiten der Vermittlung unter den gegebenen Umständen gemacht: Welche Räume stehen zur Verfügung, welches Budget? Welche Menschen kommen zu uns und welche möchten wir damit einladen? Was müssen, wollen wir erklären, zeigen, entdecken lassen? Wieviel geben wir auf den ersten Blick preis? Wieviele Blicke, wieviel Zeit werden sich die Besucherinnen nehmen? Welche Informationen geben wir wann, wo, wem an die Hand? Werden Kinder kommen? (Vielleicht sogar mehrmals?) Englisch-sprechende Menschen? Werden Menschen mit Seh-Beeinträchtigungen kommen? Was lässt sich durch welche Sinne erfahrbar machen? Wie bauen wir eine Dramaturgie, der man sich nicht entziehen kann?

Haus des Papiers Berlin | Seduce Me Paper Sichtachse
Haus des Papiers Berlin | Seduce Me Paper Sichtachse | © Haus des Papiers

 

Einführen

Mein Kunstlehrer hat mir früh beigebracht, dass ein Museumsbesuch keine Challenge ist, in möglichst kurzer Zeit, möglichst viele Kunstwerke anzusehen. Er brachte uns bei, uns vor dem Museumsbesuch eine Vorauswahl an Objekten auszuwählen und uns diesen mit 2/3 unserer Zeit zu widmen. Nur das dritte Drittel bliebe für alle anderen Objekte, für das Haus und seine Besucherinnen. Eine strenge Regel, der ich meist nicht gerecht werde, die ich aber immer im Kopf habe, und als sehr hilfreich empfinde, wenn mich die schiere Menge an grossartigen, interessanten, Zeit und Aufmerksamkeit verdient habenden Objekten in einem Museum mal wieder ohnmächtig gegenüber stehe. Er bezog sich dabei, das sei erwähnt, auf Kunstmuseen & Galerien, auf die Louvres und Uffizien, die Momas und Albert & Victorias, nicht auf ethnologische oder historisch ambitionierte Häuser. Meinem Empfinden nach täte eine begriffliche Unterscheidung hier übrigens gut: Ein Kunstmuseum ist eine gänzlich andere Gattung, ein Kultur-Angebot, das näher an den Galerien, Sammlungen und Buchhandlungen, während ein naturwissenschaftliches Museum es näher hat zum Zoo oder zum Botanischen Garten.

207m², 2019, Berlinische Galerie, Foto: © Pascal Rohé

 

Wann immer möglich schaue ich heute auf Führungs- und Vermittlungsangebote, scanne die Audioguides und begleitenden Printmaterialien, die Apps und QR-Codes, suche nach Hilfen, das Gesamtangebot auf meine Wahrnehmung hin zu kuratieren. Welche Art von Führungen werden angeboten und wer macht diese? Und anders: Wann ist vermutlich die Zeit, woe die Ausstellung am geringsten besucht ist und ich die Chance habe, allein mit den Werken zu sein. Wer wäre eine gute Begleitung, weil er mehr weiß wie ich? Wer weiß genauso wenig wie ich darüber und würde sich über eine Führung also ebenso freuen?

Einkehren

Fast ist es schade, dass so wenige Museum dazu einladen, Postkarten mit Einladungen in ihre Ausstellungen zu verschicken. Also, nicht dass es keine Karten gäbe, jeder noch so mickrige Museumsshop hat Postkarten seiner Künstler und Künstlerinnen am Start, aber eben nicht mit dem Duktus des Postkartenschreibens aus den Ferien: Ausstellung lohnt, Museum groß, Kaffee lecker, nimm den nächsten Zug und schau es dir selbst an, ich reservier dir einen Platz an der Sonne! Oh, und a propos Karte, wie wär es Stempelkarten, der 10. Besuch gratis, gerne auch museumsübergreifend, just sayin’.

Der Kaffee ist viel besser geworden, ich liebe es, dass man mit oder ohne Buch, mit oder ohne Begleitung in euren Räumen sitzen bleiben und den Blick noch ein wenig wandern lassen darf, wenn die Beine längst müde und statt neuer Werke gerne auch die durch die Räume flanierenden Menschen im Rampenlicht stehen dürfen. So wichtig, wer da mit einem reist und in welchem Outfit, und Stärkung ist auch oft nötig. Das ein oder andere Haus hat verstanden, dass nicht nur die Liebe durch den Magen geht, auch das Lernen, dass wer im Museum ein Stück Sachertorte bekommt, wenn er gerade aus der Ausstellung über Kaiserin Sissi kommt, die Ausstellung ungleich besser in Erinnerung behält, gesetzt, die Sachertorte hält, was sie verspricht. Das Museum Europäischer Kulturen veranstaltet gar Reisen per Sonntags-Brunch.

Einsinken

Immersion ist in aller Munde und ich bekräftige es gerne, wir wollen überwältig werden, mit allen Sinnen eintauchen! Nicht nur Kinder freuen sich, wenn sie anfassen dürfen, wenn der Geruch nicht Staub und Reinigungsmittel transportiert, sondern entweder zurücktritt oder unterstützt. Wenn wir Abzweigungen angeboten bekommen, in die wir uns wagemutig reinbegeben dürfen oder eben auch auf dem ausgetretenen Pfad bleiben. Wenn hinter einer Ecke etwas zu Tage tritt, das wir so nicht erwartet hätten. Wenn auch Humor einen Auftritt haben darf.  Wenn wir verstehen dürfen, wer da hinter den Kulissen alles mitgewirkt hat von den Architekten bis zu den Wissenschaftlern. Wenn wir eine Ahnung davon erhalten, wieviele Stunden, wieviele Zweifel, und welche Zufälle dazu geführt haben, dass wir hier heute stehen.

Ich freue mich über Möglichkeiten, einzusinken und zu flanieren, Raum und Ruheorte, die Möglichkeit, zwischendurch auf eine Bank zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen. Und wenn diese Möglichkeit, alleine und in Gemeinschaft zu sein, die ein Museum ja zuallermeist bietet, bewusst ist. Alle Menschen, denen wir in der Ausstellung begegnen, werden Teil unserer Reise-Erfahrung, ob das nun die Damen und Herren am Eingang,  an der Garderobe, die, die aufpassen, dass wir den Werken nicht zu nahe treten oder die anderen Gäste sind. Mal sind sie uns zu nah, mal würden wir gerne in ihren Kopf schauen: Was macht das mit Ihnen, wenn Sie drei Monate vor diesem Bild verbringen? Wie sind Sie hier hergekommen? Da uns beiden dieses hier so gut gefällt, welches Museum empfehlen Sie mir als nächstes?

Einordnen

Vielen Dank, liebe Muse(e)n, die ich euch  bereits und insbesondere in den letzten Monaten besuchen durfte, nehmt dies als eine öffentliche Postkarte von meinem Schreibtisch in eure Vitrine! Vielen Dank für euer Durchhalten, euern Mut, eure Ideen, eure Verletzlichkeit, euer (euch) Infragestellen. Es gibt gerade so viele Diskussionen über das, was ein ein Museum ist und sein könnte, wann es sich ein Museum nennen darf und wen ein Museum bestenfalls begeistert. Vielleicht kann und sollte das nie abschließend beantwortet werden, vielleicht dürfen sich Museen immer wieder neu erfinden, ihre Musen neu küren, ihre Besucherinnen auch mal einladen, die Ausstellungen mitzugestalten, wie das Weltmuseum in Wien letzthin, dürfen ihren Ort verlassen und selbst als PopUp auf (Lern-)Reisen gehen, ihre Geheimnisse bewahren statt sie offenzulegen, teilen statt sammeln, Fragen stellen statt sie zu beantworten, mal nichts zeigen, sondern zuschauen?

Was sind eure Ideen und Erlebnisse, Gedanken und Geheimnisse, und natürlich Fragen als Museums-Machende, besuchende, kritisierende, erfindende, bewachende und  und -innen, als leise und laute Mitdenkerinnen?