Geliebte

Brouillard, brouillard!

Warum in der französischen Sprache das Wort für Lärm, ergo “bruit”, das Wort für roh und ungeschliffen, ergo “brut”, und das Wort für Nebel, ergo “bruillard” so ähnlich klingen und damit in meinem Gehirn eng beieinander wohnen, entzieht sich meiner Kenntnis. Dass Nebel in meinem Wetter-Regal viel dichter bei Schnee und Stille eingeordnet ist, erschließt sich für mich viel eher: Dieses weiße Streben, das ohne jedes Geräusch auskommt, eigentlich auch ohne jede Farbe auch, und pures Phänomen ist, inspiriert SchriftstellerInnen und MusikerInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen in allen Kulturen und Klimazonen. Wikipedia versucht es zu definieren und bleibt doch bei einer Beschreibung seiner Konsistenz:

Fog is a visible aerosol consisting of tiny water droplets or ice crystals suspended in the air at or near the Earth’s surface. Fog can be considered a type of low-lying cloud usually resembling stratus, and is heavily influenced by nearby bodies of water, topography, and wind conditions.

wikipedia.org

Ein Aerosol also. Steckt da nur für mich das Wörtchen Sonne drin, spanisch el Sol, die ja eigentlich der Feind eines jeden Nebels? Auf den ersten Versuch möchte man den Nebel dem eher sonnenarmen November zuordnen, vermutlich nicht zuletzt der Alliteration wegen, bei näherem Hinsehen zeigt sich der Nebel jedoch zu allen Jahreszeiten, im Frühling als eher sanftmütiger Weichzeichner in den Morgen- und Abendstunden oder nur mehr durch seine als Tau sich zeigenden Spuren seiner Anwesenheit, wenn er selbst längst wieder von dannen, ja, was eigentlich: geschlichen? Also ob das eine Frage der Entscheidung sei, ob Nebel schleicht oder laut auftritt, man stelle sich wütend aufstampfenden Nebel vor und weiss doch zugleich: Das gibt es doch gar nicht. Nebel kann zwar sehr wohl Treppen steigen und Berggipfel umhüllen, aber fest auftreten scheint seine Sache nicht.

Ist dem so? Kann Nebel laut werden? Und wenn ja, in welcher Tonart, welchem Rhythmus? Die Nebelglocke hilft Menschen an Küsten und auf den Meeren, sich auch im Nebel zu orientieren, sie klingt also durch den Nebel nicht wie der Nebel selbst. Ich lese, das zunächst Kanonenschüsse als Audiosignale genutzt wurden und die Glocken erst in Reichweite und Durchdringung trainiert werden mussten, bevor sie im 19. Jahrhundert zum Einsatz kamen, und so manchen Seefahrer gerettet haben. Gleichwohl ahne ich, dass der Nebel nicht nur unser visuelles, sondern auch unser auditives Empfinden zu beeinflußen vermag.

Liebste Jahreszeit Nebel?

Unsere Beziehung zum Nebel ist ambivalent, er macht uns gruseln und frieren, er lässt uns einsam und alleine fühlen, er zeichnet für manche Landstriche eine charakteristische Note, denke man an Schottland oder die Bretagne, überall da wo Feuchtigkeit herrscht, und die Lichtverhältnisse undurchsichtig. Er vermag aber auch Härte und Spitzen zu vereiteln und Unterschiede zu nivellieren, den Hall zu verringern und Himmel und Erde einander anzunähern. Er vermag Grenzen zu verwischen zwischen Ufer und See, Waldrand und Wiesengrund, und den Horizont aus der Spur zu bringen. Er ist nichts als Wasser und auch das nicht zu 100 %, im Gegenteil, er verfügt über eine Schnittmengenkompetenz, von der wir nur träumen können, besteht er doch aus Luft und Wasser, Wärme und Kälte, und eben jener Bewegung, die Annäherung, Aufeinanderzubewegung und Verfremduung zugleich. Er wabert und weilt, er wellt und wagt, jedoch nicht etwa in Eile sondern in sich und der Zeit ruhend, wohlwissend, dass seine Zeit endlich, scheint es.

Dalalæða (noun)
A waist-deep fog that forms during calm nights after a warm and sunny day.
Literally means a fog that sneaks up from the bottom of a valley,
“valley-sneak.”

icelandmag.is

Die nordischen Völker unterscheiden verschiedene Nebel-Arten, es gibt sogar einen Nebel in Island, der nur an warmen, sonnigen Tagen entstehen und auch nur heraufziehen kann. Denn ja, es gibt Nebel, der aufzieht und Nebel, der sich senkt. Es gibt den Nebel am Morgen und den am Abend, den vor dem Regen und den danach. Immer kommt und geht er, ohne dass man ihn scheuchen könnte. Ich weiss von keinem Tier, das im Nebel besonders gut sehen kann oder doch zumindest besser als wir Menschen, denen er gerne die Sicht, insbesondere die Fernsicht raubt und daher überall dort wo viele Menschen oder Menschen mit hohen Geschwindigkeiten und schweren Fahrzeugen auf Straßen oder Meeren unterwegs sind. Oft heißt es daher: Achtung, Nebel!

Seltsam, im Nebel zu wandern

Im Nebel, schreib Hesse eines seiner häufig zitierten Gedichte.  Seltsam, schreibt er darin, sei es, im Nebel zu wandern! Einsam sei darin jeder Busch und Stein, kein Baum sähe den andern, jeder sei allein. Und schrieb damit eine Ode an die Einsamkeit, die entstehen kann, in diesem Nebel. In der letzten Strophe bezieht er das Gefühl auch explizit auf den Menschen und ich habe die Kletterer am Watzmann im Kopf, die bei plötzlich aufziehendem Nebel den Kontakt zu ihrer Gruppe verlieren und sich vereinzelt am Berg wiederfinden, überwältigt und orientierungslos. Wo war noch gleich der nächste Schritt hinzusetzen?

Die Dichter lieben das Fremde, das Nicht-Greifbare und doch Eindeutige an ihm, den Stimmungswechsel, der ihm anheim, das Verwandelnde des Nebels, sei es das Unheimliche, oder das Romantische. Sie nutzen ihn als Metapher und Stimmungsbereiter, lassen ihn aufziehen wie einen ephemären Raum, ein Setting, in dem existenzielle Transformationen möglich sind bishin zum Exitus: Was nicht alles verschwunden ist im Nebel – oder eben aufgetaucht. Als  Geheimnisträger hat er seine Rolle gefunden, dabei kann er so viel mehr: Ganze Landstriche befruchten, Farben gnädig abschwächen, die Austrockung ganzer Landschaften verhindern oder umgekehrt das Atmen ermöglichen oder erschweren, wenn die Luftfeuchtigkeit ins Unermessliche steigt.

Nebelchen, möchte ich ihm zurufen, möchte alle Schwaden zusammenrufen, ihnen das Du anbieten und ein Nebelmanifest verfassen, möchte den Schluterschluss und das gute Gefühl, im nächsten Nebel wunderbar getragen  mich zu fühlen, Teil derer, die gekommen um nicht zu bleiben, die verweilen, um für Momente in einer Verwundbarkeit präsent ohne Härte zu provozieren.