Gesuche

u-bahn-begegnung, amélie-esk

Diese Woche hieß es Abschied nehmen von der Rasselbande. Unterschiedlich lange hatten sie unter meinem Bette geruht, immer wieder hatte ich sie liebkost und vor allem lieb-kostet. Aber es waren ihrer schlicht zu viele, ihre Süße überforderte selbst mich und meine Abreise rückte siebenmeilenbestiefelt näher und näher. Der Allerliebsten erbarmte ich mich dank Tupper, der große Rest aber musste unters Volk gebracht werden. Schnell, sauber und in gute Hände. Die waren schnell gefunden, das Bündel geschnürt, die Pedalen des Schwarzen harrten bereits vorsorglich geölt, und dann kamen doch die Zweifel.

Gab es nicht vielleicht noch jemanden, der ihnen nicht nur ein guter Host, sondern der ihrer nachgerade bedürftig entgegenschmachtete, in diesem Moment, in dem davor, vielleicht bereits ein ganzes Jahr? Auf der Suche also nach einem Obdachlosen, der meine Weihnachtsplätzchen noch ein wenig lieber auf der Zungen zergehen ließe als der eigentlich zu bedenken gedachte, machte ich mich bei um die null Grad auf die Suche nach einem solchen. Schwierig im gerade durchradelten Kiez, stellte ich fest, schwieriger als gedacht, denn an allen verdächtigen Stellen fand sich Frost, aber keine Menschenseele. Die letzte Chance rechnete ich mir in der Ubahnstation aus, die noch auf dem Weg lag, gelblich beleuchtet lockend.

Also Fahrrad angeschlossen, Keksdose unter den Arm gepresst und die Treppen hinunter gestiegen in die wie erwartet reichlichst entgegenströmende Wärme. Um jede Ecke geschielt, auf jeden Ton gehorcht, jeden schlurfenden Schritt, aber auch hier: Niemand, der nicht vorhatte, spätestens in die nächste Bahn zu steigen, auf dem Weg in eine Wohnung voller Lieben. Niemand, außer einem, der mir zuerst auffiel durch seine linkischen und so gar nicht zielbewußten Bewegungen, die nicht in diese neonbelichtete unterirdischen Räumlichkeiten passten. Durch sein wiederholtes hastiges Umschauen, und den dicken Stapel bedruckten Papiers, das er nach und nach an den gekachelten Säulen befestigte. Anfallartig immer dann, wenn eine Ubahn das Gleis mit Umherstehenden verlassen hatte, und die Gegend frei von etwaigen Zuschauern schien. Die Neugier war geweckt, die Kamera gezückt und das Lächeln mehr als bereit.

Gelage

Mit Teller-Augen

Ja, der Weltsaal wäre es gewesen, und ist es noch, der mich nicht nur mit seinen Maßen – ich hab ein Faible für solcherlei Informationsangaben –, sondern auch und vor allem mit seinen Lüstern und Leuchten beeindruckt hat. Ganz anders da der prunk-und-gloria-runde Leuchter vor dem Europa-Saal – Zugang meist über die Unterwasserstraße, der erschreckend gut mit dem stirnseitig montierten großformatigen Neon-Orange harmonierte. Wusste man, dass der flaschenbodengrüne, himmelskratzende, lückenlos gekachelte Kamin im Hinterhof die Möglichkeit bietet, verminte Post zu öffnen, ohne die Statik des AA zu gefährden? Man vielleicht, ich nicht.

Die Aufmerksamkeit jedoch trieb es aller Schaulust zum Trotz stetig ins Inwandige, Treppen hinunter, die an wurmstichige Stiegen gemahnten, zum Zehenspitzen zählen, in Hommage an schneeverwehte Kinderwintertage lustvoll bis zur Atemlosigkeit ausgeübter Sport jenseits jeden Teams, jeden Feierabendbiers. Zum harte Kekse lutschen entscheidende Tage bevor ihre Zeit gekommen, den Anisgeschmack mit jedem Zungenschlag ein Stück weiter aus dem kulinarischen Gedächtnis gepult. Zu Atemverschickungen ins Zwerchfell und darüber hinaus, dem Seitenstich den Weg ebnend, den das salzschweißende Warum zu gehen weiß.

Hadern, einmal mehr aus dem Warum ein Wozu ein Wieso ein Woherwohin drechseln, die sich mit jeder Neuformulierung weitenden Löcher mit Floskeln stopfen. Sisyphos. Spätestens dann notfalls nur eines, aber eben mindestens dieses eine, der blondierten Lider heben und einen jener herben Blicke werben, die eben noch ausschließlich das Fresko schräg rechts über Dir goutierten. Die Lungen noch im Reflex mit Luft zum Bersten gefüllt, sind Augen, Magen und der Rumpf längst schon dem karamellisierten Dekolleté von Schlehenmousse, Schwarzbier besaucetem Lendencarpaccio an wimpernbestäubter Rucola-Terrine erlegen.