Gedanken

mnemosynon – nottoforget

Es gibt viele Menschen, die bauen Industrieanlagen, bezirzen Renditen und verkaufen Immobilienbecken. Die reden von Profiten, messen sich an der Steuer und arbeiten auf Wachstum und Maximierung von Umsatz. Die tragen Anzug und Krawatte und einen gezirkelten Seitenscheitel.
Es gibt aber durchaus auch Menschen, die tragen stolz einen Kopf voll ungezähmter Locken und bauen Drehorgeln. Solche mit Knödel fressenden Holzfiguren, und welchen die nach goldenen Kugeln tauchen zu sich ewig wiederholenden Melodien. Solche Menschen wohnen manchmal nahe einem Storchengehege in einem blauen Haus. Na gut, das Haus ist weiß und nur die Fensterläden sind dunkelblau.
So ein Mensch ist mein Bekannter H. seit vielen, vielen Jahren. Und seit ebenso vielen hat er seine Werkstatt direkt neben dem Haus, zusammen mit seiner Frau S. die ihm, 20 Jahre jünger als er, zwei Söhne gebar und ansonsten aus Berufung schreinert. S. hat ein Lächeln, das sprudelt nur so vor Schalk und mit diesem auf den Lippen versendet sie Einladungen zu Mottoparties zum Thema Weltraum, spielt absurdes Theater und schnitzt.
H. und S. teilen viele Aspekte des Lebens mit Genuss, eine Leidenschaft aber hat H. allein: Weihnachtsgebäck. Jedes Jahr aufs Neue leidet er unter dem zu rasch aufgezehrten, nie in ausreichenden Mengen vorhandenen Süßgebäck, das nie bis Heiligabend vorhält. H. musste allerdings 64 Jahre alt werden, bis es ihn dieses Jahrendgültig packte und er eine Annonce in der örtlichen Presse aufgab. Er teste selbstgebackenes Gebäck und stelle den Bäckern auf Wunsch Zertifikate mit seinen Ergebnissen aus, man müsse ihm die Kekse nur vorbei bringen.
Es gibt übrigens auch Menschen, die kommen, Dir eigentlich noch vollkommen unbekannt, zwischen zwei Tagen reingeschneit und werfen Dir ungefragt Sterne in den Nachmittagskaffee. Solche Menschen sind Einzelgänger, bewegen sich auf nur für sie sichtbaren Linien durch den Kosmos und zielen direkt aufs Herz. Da wird Dir ein Finger auf die linke Wange gelegt, der Deine Lippen sich vor Vergnügen kräuseln macht und der Mensch krempelt ungerührt die Ärmel hoch und verbindet mal eben den Morgen mit dem Vorgestern, das Mittagessen mit dem Nachtgebet und den Vorfilm mit der Aftershowparty. Er verdoppelt Dein Lächeln, verbreitert den Sonnenstrahl und potenziert dessen Steigungsdreieck en passant, dass sämtliche Apokalypsen sich blitzartig unter die X-Achse flüchten.

Manchmal vergesse ich, dass es solche Menschen gibt.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.