Drei Wochen Argentinien ist alles andere als ein ungewöhnliches Vorhaben, lehrte mich dieser Wikipedia Eintrag bereits vor Abreise. Auf vieles hat er uns vorbereitet, auf die Distanzen, auf die Steaks, auf Buenos Aires als Stadt ohne Sightseeing dafür voller Cafés, Parks, Eisdielen und Tangolokale. Überhaupt Buenos Aires – Meike Winnemuth war schon da, die Taxigourmeteuse Layne Mosler und wer sich sonst in das Lebensgefühl einlesen möchte, findet beim Gringo oder bei Angela (wenn in B.A. sind ihre AirBnB Lofts eine super Basisstation) viele wertvolle Details.
Noch mehr aber haben wir vor Ort gelernt. U.a., dass …
* … man in Argentinien nicht mal eben schnell einen Kaffee trinkt, sondern egal, was man konsumieren möchte, besser viel Zeit mitbringt, der Argentinier scheint das Warten fast so sehr zu lieben wie der Portugiese. So darf man selbst im Feinkostladen, im Fotogeschäft oder beim Bäcker häufig Nümmerchen ziehen, wie bei uns auf dem Amt. Und selbst ein Glas Saft kann gut mal eine Stunde dauern. Nicht, dass der Saft dann frisch gepresst wäre…
* … man in Argentinien nicht nur guten Rotwein sondern auch gern gutes Bier trinkt, heimisches wie Quilmes oder Salta, und das in rauhen Mengen. Heisst konkret: Wer im Café oder Restaurant ein Bier bestellt, bekommt in der Regel und oft alternativlos eine Literflasche, bei den entsprechenden Temperaturen im Sektkühler.
* … man in Argentinien mit einem süssen Zahn nicht auf Füllung warten muss. Überall gibt es Kioske voller Süssigkeiten, Zuckerwatte, Eis und natürlich Gebäck. Allen voran die Alfajores, Doppeldecker-Kekse mit Dulce de Leche gefüllt, der National-Süßigkeit schlechthin.
* … Dulce de Leche, die karamellisierte Kondensmilch ist ein Thema für sich und wirklich überall zu haben. Pur im Glas, als Füllung im Keks, als Aufstrich zu den unvermeidlichen Medialunas und Toasts, in Desserts, als Eis und in anderen Eissorten, im Kaffee, im Supermarkt regaleweise und natürlich als Souvenir noch im letzten Shop vor dem Gate.
* Buenos Aires ist eine Fahrradstadt. Die Stadt durchziehen Fahrradwege, oft sogar farblich und durch Erhebungen von den Autospuren getrennt. An diversen Stationen kann man sich Fahrräder leihen, für eine Stunde: kostenlos!
* Und ja, Eis können sie, zumindest Milcheis, bei Sorbets wäre ich vorsichtig und Schokosorbet ist dorten noch nicht erfunden. Dafür gibt es Dulce de Leche in allen Variationen (Pflicht!), sündiges Schokoeis (eigene Kategorie) mit und ohne Nüsse und diverse gute Ideen wie Eierlikör (Sambayon) oder Kumquats in Whisky (Quinotos al Whiskey). Und jetzt kommt´s: Wie das Bier literweise, kauft man Eis kiloweise – los geht es bei einem Viertelkilo. Die Preise sind anständig, die Suche nach hausgemachten Eis lohnt für Liebhaber unbedingt und bereits das Viertelkilo kommt auf Wunsch im transportablen Becher.
* Das gute Eis liegt natürlich am guten Einfluss der Generationen italienischer Gastarbeiter, die Argentinien insgesamt zu einem guten Reiseland für Vegetarier machen – entgegen anderslautender Befürchtungen allerorts. Natürlich nicht in der Parilla, dem traditionell der Grillkunst (Asado) gewidmeten Restaurant. Dort mögen Gemüse nur selten auf der Karte zu finden sein, obwohl auch da sich bestimmt Pastagerichte tummeln. Aber ansonsten gibt es genügend italienische Restaurants, Pizzadealer mit ihren Oden an den Mozzarella (hier: Muzzarella) und natürlich Empañadas, die argentinische Maultasche….
*Empañadas sind zu probieren, wenn man nicht wie ich glutenfrei unterwegs ist. Dann gibt es Reiswaffeln, schönerweise in allen Formen und Geschmacksrichtungen und wenn man sich dazu guten Käse und Schinken beim Spätkauf (Kiosko) um die Ecke holt und frische Oliven, entsteht daraus eine wiederholungswürdige Mahlzeit.
* Zurück zu den Empañada: Es gibt sie mit Rind, Lamm, Hühnchen, Gemüse, Thunfisch und nicht selten auch in arabischen Varianten mit Gewürzen. Auch hier gibt es Qualitätsunterschiede, traut eurem Auge – und eurem Bauch! Jenseits von Empanadas und so manchem Mittagsangebot aber bin ich der festen Überzeugung, dass in Argentinien die Trennkost erfunden wurde. Steak oder Salat. Salat oder Kartoffeln. Eis oder Pizza. Wobei letzteres auch gut in einen Tag passt, zusammen mit morgendlichen Croissants und kurz vor Feierabend ein Berg Picadas – vor dem Steak versteht sich.
* Zurück zum Stichwort Gewürze. Did the spice trade ever make it to Argentina? Well, zumindest nicht in seine Restaurantküche. Hier steh wenn es hochkommt Salz und Pfeffer auf dem Tisch – wenn es hochkommt. Gewürze und Saucen sind explizite Mangelware, Dips auch zu Empañadas oder Humitas und Tamales (Maisbrei gefüllt oder vermengt mit leckeren Zutaten und im Bananenblatt gegart. Gerade wenn hausgemacht köstlichst!) eine Seltenheit.
* Allgegenwärtig hingegen ist Popcorn (Pochoclo!), für 5 Peseten auf der Strasse frisch geröstet, mit unterschiedlichen Süßegraden versehen und in diversen Maisvariationen von fleischig weiss bis knallorange, in poppigen Farben zuweilen auch und wahlweise sogar gesalzen oder (!!!) scharf.
* Ganz Argentinien ist Latte Macchiato freie Zone, aber Wasser gibt es zum Kaffee, zuweilen sogar “con Gas”, was sonst eher unüblich. Und mehr als häufig wird ein Tellerchen mit Keksen oder Mini-Corissants dazu gereicht. Überhaupt ist das Croissant – aus Hefeteig und unter dem Namen Halbmond (=Medialuna) verkehren allgegenwärtig. Meist als Frühstücksangebot, das aber auch den ganzen Tag über serviert wird und einen Milchkaffee und 3 Croissants beinhaltet.
* Brot = Toastbrot. Ohne Ausnahme. (Ok in Buenos Aires gibt es Bäckereien) Gerne ungetoastet als Tramezzini-Abart in allen nur erdenklichen Käse-Schinken Variationen. Überhaupt steht Käse-Schinken hoch im Kurs, auf dem Sandwich, dem Croissant, der Pizza und … im Schnitzel. Schnitzel heissen hier Mailänder (Milanesa), sind paniert (Toastbrot?) und werden fast so zelebriert wie das Steak, gerne zu Mittag aber auch zum Dinner. Tipp: Wenn in Buenos Aires dann bitte bei Don Ignazio!
Und nein, in Argentinien geht es nicht nur ums Essen! Wir sahen siebenfarbige Berge, reisten ans Ende der Welt, wir begegneten leibhaftig gewordenen Panflöten-Kombos, die aus den Fussgängerzonen der 80er in ihre Andendörfer zurückgekehrt scheinen, wir besuchten die Pinguine und Seelöwen auf ihren Inseln und wanderten durch Landschaften, die uns immer wieder den Atem nahmen. Hier lernten wir u.a.:
* Einen Gletscher hat in Argentinien jedes Dorf, das was auf sich hält, zu bieten, angenehm fussläufig erreichbar und für Kletterversuche und Fototermine jederzeit zu haben.
* Sport ist in Argentinien so selbstverständlich wie Fussball. Die Muckibuden “auf dem Land” wirken wie einem Rocky Balboa Film entsprungen, wohingegen wer in Buenos Aires lebt, ausnahmslos dem Crossfit verschrieben zu haben scheint. Das Lara Croft Outfit inklusive.
* Ins Crossfitprogramm gehören augenscheinlich Jogging-Intermezzo durch die Nachbarschaft. Das ist problemlos möglich, die Strassen sind breit, die Ampelphasen fair, nur den Blick sollte man besser nicht vom Fußboden heben, denn Buenos Aires ist die Stadt auf der Welt mit noch mehr Hundehaufen auf der Straße als Berlin.
* Eine Mode hat Argentinien nie verlassen, hat sich den Damen des Landes unter die Fussballen geheftet; Plateausohlen wohin man schaut: unter den Pumps, den Flipflops und den Wanderstiefeln.
* Die Espadrilles, die mir versprochen worden waren, hingegen, sah ich einzig und allein an SouvenirMarktständen. Der Matetee und die Cocablätter sind uns irgendwie auch nicht in die Hände gefallen, haben aber auch nicht gefehlt.
* Am schönsten ist Buenos Aires zu Feierabend, wenn das Abendlicht alle Spiegelscheiben spiegeln macht und den müden Touristen mit Schatten verwöhnt.
* Apropos Feierabend, zwei Berufe haben in Buenos Aires anders als bei uns durchaus Zukunft: Der Dogwalker und der Parkwächter – Parkhäuser oder einfach Parkdecks sind hier eine einträgliche Einnahmequelle.
* Gut war, dass ich ein paar Brocken Spanisch intus hatte, die waren zwar deutlich portugiesisch geprägt, brachten uns aber sicher durchs Land. Nur bei den Fleischgerichten auf der Speisekarte waren sie zu Ende: Lamm? Rippe? Kutteln? Da durften dann andere übersetzen.
* Ich weiss nicht, ob Karl May je in Argentinien in Szene gesetzt wurde, aber das Potential dazu ist en masse vorhanden, karlmayesk sind Berg und Tal, insbesondere die Hochplateaus in den Anden. Und zack, wähnt man sich nach der nächsten Kurve schon am Grand Canyon, der hier Quebrada de Humahuaca heisst und Gerüchten nach Obst und Gemüse für ganz Argentinien auf seinen Feldern trägt. Ich aber halte das bis zum Gegenbeweis mangels Feldern für eine Legende …
* Wobei Obst und Gemüse ein gutes letztes Stichwort ist. Die gibt es nämlich häufig nicht im Supermarkt, sondern in einem extra Lädelchen, meist an einer Strassenecke gelegen und bis unters Dach voll mit Obst und Gemüse.
Ich könnte noch ewig weitererzählen, setze hier aber mal einen Punkt. Na ja, sagen wir ein Semikolon 😉
* Bonustracks:
1) Wusstet ihr das Chris de Burgh aus Argentinien stammt? Gabriella Sabatini und Mercedes Sosa, ja, aber dass Lady in Red Argentinierin ist…?
2) Die argentinische Pesomünze eignet sich zurück in Deutschland für Einkaufswägen ganz hervorragend.
3) Es gibt argentinischen Punkrock und der klingt verdammt nach 77.
Ein Gedanke zu „Bitte mal mir ein Land“