Gemäuer

Versuch einer Anschmiegung

manche orte erzählen sich selbst, gegenseitig, manche brauchen einen anderen ort, der sie empfiehlt, einen menschen, der sie nahelegt, einen vertrauten, in den sich schmiegen mögen. einen teilfremden verführer. manche orte tragen den schlüssel um den nackten hals, er liegt ihnen auf der brust, kommt zur ruhe, nur wenn du und der ort stillstehen, gleichzeitig möglichst. dann gelingt es zuweilen, dass  das metall, der bart des schlüssels, senkrecht stehend auf deiner haut, auf dein herz zu zeigen vermag. diese deine haut, die sich zeigt, wenn du zuhause ankommst, das haar zurück-, und den mantel aufschlägst, wenn sich der saum deines rocks entscheidet, ein paar zentimeter preiszugeben auch, als gäbe es maßbänder auch in rosarot. auf leisen sohlen legt sich dein körper sodann in die täler, die das laken löst, von schüchternheit keine spur, ein atemzug wagt ein streicheln, versuchsweise, vague gehalten, es könnte auch ein versehen, aber es ist, weiss deine haut in schauern zu berichten.

koordinatengestöber galore

auf ungemachten betten liegen wir, wie frischgeschöpfter käse, molke-mäander auf leinen-laken, du bist da, ich, und ein ort, der sich in uns schmiegt, als wüsste er um den moment, der dies möglich macht, obwohl wir uns gerade erst kennenlernen. einer, der uns trägt und treibt und möglich macht, der sich uns ausgedacht hat, vermutlich und in uns weiterziehen wird, zumindest hat er das vor, er hat die route bereits vorgezeichnet zwischen meinen schulterblättern und deinem innenschenkel, da wo ich immer zum halten komme, auch wenn der nächste halt dem streckenplan nach erst in einer viertelstunde zu erwarten wäre.

wo wir uns verorteten, koordinatengestöber galore, ist kein zufall, ist der einzig richtige, den wir dachten gefunden zu haben für uns, dabei war vermutlich er es, der uns aufspürte, anzog, einlud, ankommen und glauben ließ, wir hätten ihn ge- oder gar erfunden. eden ist einer von ihnen, gärten und parks in vertretung gerne genommen, strände auch, an die es sich spülen lässt, orte, an die kein weg führt, und deren zugänge meist erst auf den zweiten blick oder gar erst von innen, also rückwärts denkend, gehend, erkennbar. ja, orte verwahren sich in uns, wenn wir es wagen, ihnen nicht nur gast sondern gastgeber zu sein, ihnen unser herz aufschließen und die magengrube, das knie und den ellbogen.  dann ziehen sie ein, legen liegewiesen und studios an, planen raumerweiterungshallen und lassen uns mit jedem atemzug größer werden.

“Eine Glühbirne schafft eine Umgebung allein durch ihre Anwesenheit.”

künstler ahnen das, suchen instinktiv orte auf, die sich dehnen und stauchen lassen, die dich mitnehmen und sich verlieren in dir, wiederfinden und auf händen tragen lassen auch. brian eno, der großartige produzent, der die musik von bowie bis coldplay prägte und sogar die legendäre hochfahrmelodie von microsoft windows komponierte (auf einem mac übrigens) benutzte nie den begriff „genie“, obwohl er mit vielen menschen gearbeitet hat, die wir so nennen würden. eno sprach immer von „szenie“ und betonte, dass es für ihn settings sind, in denen bemerkenswerte ideen zustande kommen. und er machte viel, um dieses szenies zu ermöglichen. eine szenie muss nichtmal ein physisch aufsuchbarer und tastbarer ort sein,  auch das licht einer glühbirne vermag diese symbiose von inhalt und kontext. marshall mcluhan beschrieb das bereits 1964 in “Die magischen Kanäle”. die glühbirne hat keinen eigenen inhalt im eigentlichen sinne, aber sie ist ein medium mit einem sozialen effekt. sie schafft lichtungen, ephemere räume im dunkeln, die mit ihrem licht entstehen und ohne es vergehen.

wären wir uns also an einen anderen ort begegnet, würden wir uns heute möglicherweise  die hände reichen statt der herzen, würden wir uns vielleicht nicht erkannt haben, wäre eine gemeinsame gegenwart nicht möglich geworden, die wiederum an einem ort stattgefunden hat, der eine zukunft entstehen ließ in seinem und unseren köpfen, die uns heute hier sein lässt, an diesem ort, der wiederum ermöglicht, dass wir uns erinnern an den ort, das licht, die geräusche, den duft, die wärme, die blickachsen, die uns trugen und ertrugen, die uns halt boten und ausblick.

tragende blickachsen

ob eine wiederkehr möglich sei, an diesen ort, wissen die, die ihn tatsächlich aufsuchen, die den ersten schritt wagen und auch den zweiten, die diesen ort aufzusuchen, der einmal war und der sich dann vielleicht ganz oder teilweise in uns verlagert hat, sich gespiegelt und gewandelt hat. sie reisen in fremde länder, in deren innern sie den ort vermuten, ob zurecht oder nicht, wird sich herausstellen, sie nehmen den schlüssel mit, den sie seit damals aufbewahrt hatten, ohne zu wissen, ob er das tor noch öffnen wird. und doch lohnt der weg an den von damals erinnerten ort, der ideen möglich machte, die heute, an einem anderen ort unmöglich machte, der erinnerungen für uns hütet, die wir nur dort aufrufen können, selbst wenn der ort sich nicht mehr finden lässt, allein wegen des weges zu ihm, auf dem er ins uns wieder auferstehen wird.

die ankunft, so oft herbeigesehnt und imaginiert, verwirklicht sich zumeist mit einer emotion aus der riege erleichterung, erwartung und erlösung. so manches lässt sich nur an diesem einen ort erinnern, denken, fragen, an einem anderen wirkte es deplatziert oder ganz und gar unmöglich zu erinnern, zu fühlen, zu denken. manche musik, manche kunst, manches gefühl, manche idee mag nur an bestimmten orten wohnen und wirken, sie verweigern sich plätzen, die ihnen unangenehm, unbequem oder unpassend, wählen licht- und kreuzungen, kirchtürme und zwischengeschosse, an denen eins zum anderen kommen kann und manchmal auch eins endlich allein sein kann. orte, die nicht jeder zu finden vermag, aber schönerweise auch du, die sich nicht von jedem erzählen lassen, aber von mir, die sich nicht an jeden anzuschmiegen vermögen, aber an uns.


Nota bene:  Dieses Phänomen, das die Forschung „𝐄𝐱𝐭𝐞𝐧𝐝𝐞𝐝 𝐂𝐨𝐠𝐧𝐢𝐭𝐢𝐨𝐧“ nennt, wurde  zunächst an Spinnen nachgewiesen. Spinnen verlagern ihre Kognition auf ihre Netze, d.h. ihr Denken ist weder vollständig im Gehirn, noch vollständig im Körper verankert. Die Struktur des Netzes bringt zum Ausdruck, wie die Spinne das Wetter einschätzt, welche Beute sie erwartet und wie die Stimmung ist: Ist sie hungrig, ist das Netz zum Beispiel kleinmaschiger. Die Schwingungen des Netzes wiederum sind Erkenntnisquelle für die oft blinden Spinnen: Das Netz ist ihr ein externes Organ, was Bewegungen des Windes registriert, Temperaturveränderung, Schattenfall und natürlich Beute. Das Netz ist Teil des Geistes der Spinne.