Gelage

Ze Big BandHoulle – Merci!

Es gibt nur sehr wenig Menschen auf dieser Erde, die mir mit einem Song von Britney Spears eine Freude bereiten können. Auch wenn sie ihn selbst performen. Sehr wenige.
Heute kamen auf einen Schlag 14 neue dazu. Sie waren pink und albern angezogen, sie waren laut und sprachen französisch. Und das kam so:
Müde und im Kopf bereits den Einkaufszettel am entwerfen, den Kragen hochgeschlagen, trat ich mein Fahrrad durch die überlaufene Fußgängerzone. Pünktlich zu Feierabend. Entsprechend viel müder grimmiger Atem schlug mir entgegen, man hatte es eilig, man war sauer, es war dank frischer Zeitumstellung bereits fast gänzlich dunkel und dank eingebrochenem goldenen Oktober auch kalt und grau. Ging mir nicht anders: In grauer Eile.
Da hörte ich erst leise immer lauter werden Trompetenklänge, wild und Unzen neben dem Ton: Eine Busladung 20jähriger Franzosen, ein Mädel nur, mit Blasinstrumenten aller Art und Trommeln bewaffnet hatten sich aufgebaut, Berlin ein Lächeln auf die Lippen zu werfen. Ungefragt, ungehemmt mit französischem Akzent in den Zwischenansagen, sich selbst bejubelnd und belachend, offensiv guter Laune. Und die Leute blieben stehen, wippten, lachten, sprachen ihren Nachbarn an, warfen Kleingeld in den Geigenkasten und versuchten die Webadresse auf dem ausgebreiteten pinken Tuch zu entziffern – was zumindest mir leider nicht gelang -. Eine Oase im Großstadtdschungel. So gar nicht weihnachtlich, auch nicht trist, nicht müde und nicht kitschig. Nur voller Elan.
Wir waren einer Meinung: Das hatte uns gerade sehr gefehlt!
Ich überlegte nur kurz, hüpfte in den nächstgelegenen Bäcker, holte eine Palette pinkglasierter Berliner und drapierte sie neben den Geigenkasten. Ze Big Bandhoulle holten aus zu einem Tusch mir zu Ehren und setzten kurz darauf zu ihrem Britney-Cover an, mitten in die verdutzten Gesichter und in mein verlegenes Gesicht. Mit dem radelte ich dann gleichermaßen beschwingt gen Markthalle. Immun gegen Warteschlangen, leergekaufte Regale und überteuerte Produkte.

Gelage

Der Blogger

Dass es regnete war ja vielleicht ein Grund, aber doch nicht der Anlass, weswegen ich ihn traf. Er wusste viel und alles Dinge, über die ich keine zwei Sätze hätte verlieren können, ohne mir zu widersprechen. Seine Augen waren grün und das heißt flaschenbodengrün. Er trug gerne schwarz, das schmeichelte mir und in seinem Blog schrieb er immer „sodann“- und „es war einmal“-Sätze. Ich wollte doch zu gerne wissen, wie diese sich auf seinen Lippen machten, von seiner Zunge herausgeschubst in ein Gespräch mit einer teilzeitstummen Zuhörerin. Und auf seine Stimme war ich neugierig, ob sie wohl der von mir imaginierten entsprach, ob sie den Geschichten Leben einhauchen konnte. Sie konnte.
Aber so weit kam es fast nicht, da ich ja so gut wie alles, was er von sich preiszugeben bereit war, bereits aus seinem Blog, während er von mir so gar nichts wusste und wohl auch weiter nichts wissen wollte. Anhimmeln einfach und dreimal Wimpernklimpern konnte ich ihm bieten, aber über so etwas profanem stand er ja drüber, intellektuell und umworben von der Weiblichkeit wie er nun mal war, oder hatte zumindest kein gesteigertes Interesse daran. Behauptete er jedenfalls und ich glaubte ihm. Dass wir schließlich doch zu unserem Pfefferminztee kamen, ist eigentlich erstaunlich, und erstaunt mich weiterhin. Wir haben sogar Komplimente ausgetauscht an diesem Abend, ohne zu kichern, und mehr als eine Frage hat er mir auch gestellt. Enttäuscht war ich also nicht, jedenfalls nicht sofort, dafür sorgte schon der angehobene Adrenalinspiegel, und spannend war es allemal: Der Blogger zum anfassen nah, mit Stimme und Lächeln, seine Geschichten: nur für mich, von seinem Aftershave diskret unterlegt.
Und während er seine Anekdoten, seine liebevoll detaillierten Geschichtchen vor uns ausbreitete und ich seiner Stimme über Berg und Tal folgte, zentrierte sich mein Blick auf den kleinen Finger seiner linken Hand, der sich selbst abspreizte bei jedem Schluck. Nur manchmal zog ein grauer Bartstoppel schräg links von seinem Kinn meine Aufmerksamkeit auf sich, nicht weil er sich kräuselte, dafür war er viel zu kurz, nein, weil er vibrierte. Dann nämlich wenn der Blogger lachte, oder auch nur lächelte, weil er einen Scherz gemacht hatte, und dann lächelte ich auch. Wir lächelten allgemein viel an diesem Abend.
Dass es regnete war schlussendlich aber der Grund, warum ich einen Tee zu lange blieb, und dann auch seinen Geschichten von schnellen Frauen und kurvenreichen Autos lauschte, die ich eigentlich nicht hören wollte. Sogar von seinen Beziehungsproblemen erfuhr ich, samt philosophischem Diskurs über Frau und Mann, eventuell hatte er Vertrauen gefasst. Ich jedenfalls war froh, dass er gern redete und das tat er ohne Frage, so konnte ich mich hemmungslos meinem zweitliebsten Hobby widmen: beobachtendes Zuhören.
Und als der Morgen graute und der Tee getrunken, war ich mir sicher, wir würden uns wieder sehen. Wir verstanden uns, wir konnten zusammen lachen und bis auf die letzten 14 Sätze, waren alle seine Sätze interessant gewesen. Nicht ganz so wohl formuliert wie die zuvor von mir am Bildschirm konsumierten Sätze natürlich, aber doch mit genau der Selbstironie versehen, die mir auf dem Bildschirm schon so gut gefallen hatte und endlich auch mit mehr Sinnen zu genießen.

Als wir uns dann doch irgendwann verabschiedeten regnete es nun allerdings nicht mehr und das hätte mich skeptisch machen müssen. Dates während Wetterumschwüngen wohnt ein Zauber inne, der sich mir bislang noch nicht offenbart hat.