Gelage

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten

Für Herrn Engraver

Vorbei an gestylten Currywürsten, an undefinierbar farblosen Gewebeproben und in Brandtzwiebäcken versunkenen Gestalten schieben wir uns zu den Bulldozerwelpen und Leuchtreklamezicken. Uncharmant flüstert Dir der Bucklige einen Schwall unsortierter Zischlaute ins Ohr: Du mögest Ihn nicht so lose über den Arm geworfen mit Dir herumtragen, über die Schulter geworfen sei das Mitsichführen hingegen erlaubt ebenso wie das Inanspruchnehmen kostenloser Krippendienste. Er lächelt seine spröden Lippenfetzen durchdringend, Eitelkeit ist ihm offensichtlich unbekannt, nicht weniger als fremder oder eigener Ungehorsam. Und so nicken wir nach außen dem Ernst der Situation genüge tuend, innerlich blutwurstende Rache schwörend. Der nächste Raum legt Dir einen Schatten zu Füßen, den Du unbemerkt fast hastig durchschreitest, dem Kleingedruckten sorgsam ausweichend. Aus der Wand links von uns ragen kopflose Hörer, deren Stimmen der schwarzweißen Diva Leben einhauchen sollten. Uns machen sie die Kehle trocken, den Blick müde und die Beine zu Staub. Einknickend fragt mich mein Nachfolger nach Deinem Namen, die Entschuldigung für seine Unwissenheit gleich mitgelächelt. Ich raune ihm Unsägliches ins Ohr, seinem Knie den entscheidenden Stoß gen Raummitte gebend, dort stünde die Couch, samt Kissen an dem zu horchen ich ihm riete. Er jedoch möchte aufrecht bleiben, standhaft, und versagt mir gar Undankbarkeit, dabei verachte ich Demut in Einstellungsgesprächen. Unser aller Rausschmiss droht über allem und wenn da nicht die Treppenhäuser wären, die Raum um Raum verbinden, mitunter mühsam zu erklimmen, immer aber durch pure Anwesenheit glänzend, ich wüsste nicht wie die Räume zu erreichen, an deren Fenstern ich mir die Nase letzten Winter plattdrückte.
Du lächelst meine Hand ergreifend, als wir den vermeintlich vorletzten betreten und angesichts des Andrangs den Platz nahe dem Blumenbukett, unter dem gläsernen Lüster, ansteuern. Eine Sitzplatzgarantie wäre lieb gemeint aber unangebracht gewesen lache ich, mein Päckchen schnürend.

Gelage

Ze Big BandHoulle – Merci!

Es gibt nur sehr wenig Menschen auf dieser Erde, die mir mit einem Song von Britney Spears eine Freude bereiten können. Auch wenn sie ihn selbst performen. Sehr wenige.
Heute kamen auf einen Schlag 14 neue dazu. Sie waren pink und albern angezogen, sie waren laut und sprachen französisch. Und das kam so:
Müde und im Kopf bereits den Einkaufszettel am entwerfen, den Kragen hochgeschlagen, trat ich mein Fahrrad durch die überlaufene Fußgängerzone. Pünktlich zu Feierabend. Entsprechend viel müder grimmiger Atem schlug mir entgegen, man hatte es eilig, man war sauer, es war dank frischer Zeitumstellung bereits fast gänzlich dunkel und dank eingebrochenem goldenen Oktober auch kalt und grau. Ging mir nicht anders: In grauer Eile.
Da hörte ich erst leise immer lauter werden Trompetenklänge, wild und Unzen neben dem Ton: Eine Busladung 20jähriger Franzosen, ein Mädel nur, mit Blasinstrumenten aller Art und Trommeln bewaffnet hatten sich aufgebaut, Berlin ein Lächeln auf die Lippen zu werfen. Ungefragt, ungehemmt mit französischem Akzent in den Zwischenansagen, sich selbst bejubelnd und belachend, offensiv guter Laune. Und die Leute blieben stehen, wippten, lachten, sprachen ihren Nachbarn an, warfen Kleingeld in den Geigenkasten und versuchten die Webadresse auf dem ausgebreiteten pinken Tuch zu entziffern – was zumindest mir leider nicht gelang -. Eine Oase im Großstadtdschungel. So gar nicht weihnachtlich, auch nicht trist, nicht müde und nicht kitschig. Nur voller Elan.
Wir waren einer Meinung: Das hatte uns gerade sehr gefehlt!
Ich überlegte nur kurz, hüpfte in den nächstgelegenen Bäcker, holte eine Palette pinkglasierter Berliner und drapierte sie neben den Geigenkasten. Ze Big Bandhoulle holten aus zu einem Tusch mir zu Ehren und setzten kurz darauf zu ihrem Britney-Cover an, mitten in die verdutzten Gesichter und in mein verlegenes Gesicht. Mit dem radelte ich dann gleichermaßen beschwingt gen Markthalle. Immun gegen Warteschlangen, leergekaufte Regale und überteuerte Produkte.